Weiterbildung in Unternehmen: Zu veraltet, zu träge, zu langweilig
Frau Burkhart, das ist unser Seminar-Katalog. Suchen Sie sich vier Seminare aus, die Sie im neuen Jahr gerne besuchen wollen. „Wer setzt die Seminare um?“, „Ein Inhouse-Trainer“. Wie hat mich damals diese Seminarauswahl frustriert! Ich passe in keine Schablone – in Zeiten der Zickzacklebensläufe passen wir da alle nicht mehr rein. Alle über einen Weiterbildungs-Kamm zu scheren ist Schnee von gestern. Und wie unauthentisch finde ich die Inhouse-Trainer, die seit über 20 Jahren über 20 verschiedene Trainingsinhalte trainieren – laaangweilig. Im Netz finde ich heute viel geileren Content. Muss dazu nur auf die Plattform TED gehen oder mir bei iTunesU Kurse von der Harvard Business School oder Stanford anschauen – erklärt von wirklichen Top-Experten in ihrem Gebiet. Und das auch noch zu jeder Zeit und von überall aus – so, wie ich gerade Bock darauf habe oder schnell mal eine Antwort und Hilfestellung brauche. Junge Talente brauchen Lern-Plattformen, auf denen sie sich individuell weiterentwickeln können. Um sie zu halten, müssen Unternehmen ihnen genau diese bieten (= Shift hin zu einem Arbeitnehmer- oder Konsumentenzentrierten Lernen).
Die Arbeitswelt im Wandel
Die Welt beschleunigt immer mehr und stellt im digitalen Zeitalter neue Anforderungen an die Menschen und ihre Fähigkeiten. Prognosen gehen davon aus, dass 1/3 der Kompetenzen, die wir heute brauchen, in fünf Jahren ganz andere sein werden. Und die Jugend von heute wird zukünftig ca. 8 Mal ihren Job wechseln. Klar, dass wir uns dann ständig weiterbilden wollen und müssen, um mit der Welt überhaupt Schritt halten zu können. Hinzu kommt: In internationalen ökonomischen Beziehungen wird der Wettbewerb und somit der Leistungsanspruch an uns alle – das heißt auch an jeden individuell – deutlich steigen. In einer digital vernetzten Wirtschaft werden Unternehmen häufiger spezifische Leistungen durch externe Dienstleister, sogenannte Job-Hopper abrufen: „The multicareer ist the norm“. Nur noch die Hälfte von uns wird zukünftig in längerfristigen Arbeitsverhältnissen leben und zu einer Stammbelegschaft gehören. Der Rest agiert als Projektarbeiter – ob wir es wollen oder nicht.
Laziness will kill you!
Was auch gleichzeitig heißt: Wir werden zunehmend selbstständig, auch wenn wir fest angestellt sind. Nur bilden wir aktuell unsere Jugend darauf aus? Zu wenig! Und die Aussage vieler Eltern: „Mach Abi, geh zur Uni, dann wirst du einen sicheren Job fürs Leben kriegen“, hat mit der heutigen Realität nichts mehr zu tun. Es ist nicht mehr der Titel, oder Status, der über den beruflichen Erfolg entscheidet, sondern die permanente Weiterentwicklung der eigenen Stärken, der digitalen Kompetenz, Selbst-Kompetenz, Sozialen Kompetenz und Kreativität. Ach ja, und wir sollten auch Lernen lehren und nicht Bulimie-Lernen. Von Prokastination über Fressattacken während Klausurenphasen oder das Gefühl, dass alles Gesagte zum einen Ohr rein und zum anderen wieder rausgeht – die Probleme beim Lernen kennen wir alle! Das Gehirn ist eben keine Maschine, die man auf Knopfdruck starten kann, sondern ein Muskel, der trainiert werden muss und manchmal auch erschöpft ist. Deshalb ist nicht wichtig WAS man lernt, sondern WIE. Dazu gehören Strategien wie das zu Lernende in kleine Einheiten unterteilen, bildliche Eselsbrücken bauen und Karteikarten schreiben. Mehr dazu gibt es hier.
Wir stehen in der Selbst-Verantwortung, uns ständig weiterzuentwickeln: „the learning curve is the earning curve“. Diese Verantwortung wird NIEMAND für uns übernehmen können. Schon gar nicht unsere veralteten Aus- und Weiterbildungssysteme. Die meisten bestehenden Programme bieten siloartige Trainings an, die von zweit- oder drittklassigen Trainern vermittelt werden, von Zeit und Ort abhängig sind und nur wenig auf individuelle Kenntnisse und Bedarfe ausgerichtet sind. Das ist frustrierend! Und ein riesiger Attraktivitäts-Killer für talentierte junge Mitarbeiter. Wer den modernen Ansprüchen einer nutzerzentrierten Weiterbildung als Unternehmen nicht gerecht wird, wird Talente an die Konkurrenz verlieren.
Genug geflucht: Was gilt es zu tun?
Genug geflucht. Was gilt es zu tun, um eine (high-performance) Organisation zu werden, die eine neue Kultur des Lernens etabliert? Was Unternehmen brauchen, ist ein „continuous learning model“, mit dem Mitarbeiter im Zentrum und einer neuen Vision. Weiterbildung und –entwicklung darf nicht mehr nur die Aufgabe der Personalabteilung sein. Es muss auf jeder Ebene des Unternehmens geschehen, immer präsent und vor allem kontinuierlich sein. Schluss mit den dreitägigen Seminaren, die schneller wieder vergessen sind, als die Kekse, die es dabei gab! Eine Kultur des Lernens im Unternehmen muss her! Dazu braucht es einerseits konkrete Lern- und Entwicklungsziele (siehe Abbildung) und zum anderen neue Lernmethoden, die immer und für jeden Mitarbeiter verfügbar sind – damit Lernen auch wirklich kontinuierlich stattfinden kann.
Trends des Lernens
- Lernen ist kein einzelner Prozess mehr, sondern mit der Umgebung vernetzt und eine ganzheitliche Erfahrung.
- Lernmethoden experimentell, fallbasiert und interaktiv.
- Informationen und Wissen sind nicht mehr zentral gespeichert und werden bestimmt vermittelt, sondern immer und überall vorhanden, aus verschiedenen Kanälen und von verschiedenen Mitarbeitern gesammelt und zusammengebracht.
- Wissen wird von spezialisierten Experten vermittelt, die Nachfragen in der Tiefe beantworten können.
- Das Unternehmen bietet unterstützende Ressourcen und Richtlinien zum Lernen, welche Fähigkeiten genau die Mitarbeiter innerhalb dieses Rahmens entwickeln, ist nicht konkret vorbestimmt.
Das können Unternehmen konkret verändern
Ganz wichtig ist: Die Kontrolle abgeben! Es muss nicht mehr genau vorbestimmt sein, wer was wann lernt. Der Mitarbeiter bekommt jetzt die Kontrolle: Er wird in Zukunft behandelt wie ein Kunde, der optimal zufriedengestellt werden soll. Einen Kunden würde man nach Feedback fragen? Den Mitarbeiter auch. Die Services sollen für den Kunden so angenehm und einfach wie möglich sein – das Lernen für den Mitarbeiter auch. Und so kann das konkret aussehen:
1. Experten-Videoplattformen nutzen
Eine ganz simple Strategie, die auch kleinere Organisationen umsetzen können, um mit Mitarbeitern zusammen Learnings zu erarbeiten: Nutzen Sie freien Content von Videoplattformen wie TED.com, 2bahead oder Stifterverband (es gibt ja noch viele mehr im Netz). In den Videos werden bestimmte Informationen anschaulich und kompakt vermittelt. Sie könnten einmal pro Woche ein Video raussuchen, an das Team verschicken, den Mitarbeitern einen kleinen Auftrag dazu geben und die Learnings daraus – für sich, das Team, das Unternehmen – dann im Team diskutieren.
2. Microlearning-Angebote
In unserer beschleunigten und digitalisierten Welt konzentrieren wir uns nicht mehr lange auf eine Sache. Wir sind immer erreichbar, kommunizieren in einem Moment face-to-face und im nächsten per WhatsApp. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist gering und wir nehmen viele Dinge gleichzeitig wahr, anstatt uns auf eine einzige Sache voll zu konzentrieren (Hyper Attention anstatt Deep Attention). Und warum sollten wir nicht auch genauso lernen?
Unsere Bildungssysteme konzentrieren sich bisher aber auf Deep Learning: Ruhige Lernumgebung, lange und intensive Beschäftigung mit einem Thema mit denselben Leuten an demselben Ort. Das funktioniert auf Dauer aber nicht mehr! Wir brauchen kleine Lernhäppchen, die wir durch Wiederholung und Anwendung verinnerlichen. Das Konzept des Microlearning (z.B. von Grovo) greift diese Art zu lernen optimal auf und ermöglicht das Lernen mit kurzen, hochspezialisierten Videos und kleinen Aufgaben dazu, um das Gelernte direkt umzusetzen. Zusätzlich befeuert wird die Entwicklung des Microlearnings durch die immer zunehmende Smartphone-Nutzung. Bei Warten an der Bushaltestelle oder an der Supermarktkasse kann man so unterwegs zwischendurch immer Neues lernen (z.B. Primer von Google für Learnings über Marketing).
3. Eine eigene Online/Microlearning-Akademie
Eine eigene Online-Akademie aufbauen und so Online und Offline optimal verknüpfen (= Blended Learning Ansatz). Expertenwissen (also wirklich von den Profis – von externen oder internen) kann in einem eigenen kleinen oder angemieteten Greenscreen-Studio in erklärenden Videos aufgenommen werden. So ist das Learning-Material konkret auf das Unternehmen zugeschnitten – anders als bei allgemeinen Video- und Microlearning-Plattformen, und steht nicht nur wenigen, sondern allen Mitarbeitern zur Verfügung. Diese Onlineangebote können mit Plattformen wie Moodle kombiniert werden, wo Unternehmen bspw. Multiple-Choice-Tests für ihre Mitarbeiter erstellen können. Das ganze Online-Angebot wird dann am besten mit Offline-Veranstaltungen und Akademien verbunden, bei denen Trainer und Experten das Material und die Ergebnisse mit den Mitarbeitern diskutieren und weiterentwickeln.
4. Erfahrungslernen
Learning-by-doing, die Strategie kennen wir alle. Manchmal funktioniert sie besser, manchmal schlechter. Genau das ist aber die Grundlage vom Erfahrungslernen – nur, dass man dabei nicht ganz so alleine gelassen wird, wie beim altbekannten learning-by-doing. Stattdessen bekommen mehrere Mitarbeiter zusammen eine Aufgabe, die sie mit verschiedenen Methoden versuchen zu lösen. Im nächsten Schritt reflektieren sie gemeinsam darüber, was gut und was schlecht funktioniert hat – immerhin lernt man auch immer aus Fehlern. Anschließend wird extrahiert und generalisiert, was an der Problemlösung das Zentrale war, welche Strategie die beste war. Und ganz am Ende steht die Frage: Wie strukturiere ich das für mich selbst am besten so, dass ich es gut anwenden kann?
McKinsey bezeichnet das Erfahrungslernen sogar als die effektivste Lernmethode, die es gibt. Na dann, los geht’s!
5. Mitarbeiter-zentrierte Weiterbildung
Social Learning, Student-Driven Learning und Adaptive Learning sind hier die Stichwörter. Das Social Learnig wird in einer Zeit des Work-Life-Blendings besonders wichtig. Wenn Mitarbeiter zusammenarbeiten sollen, ohne einander gegenüberzusitzen, weil der eine im Home Office arbeitet und der andere immer morgens unter der Dusche die besten Ideen hat, muss es möglich sein, Informationen und Wissen schnell und produktiv teilen zu können. Und nein, E-Mails sind nicht die Lösung dafür. Während Lehrer damit experimentieren, Messenger im Unterricht zu nutzen, um Informationshäppchen schnell zu teilen (z.B. im Chinesisch-Unterricht), haben viele Unternehmen interne soziale Netzwerke aufgebaut (die oft allerdings nicht genutzt werden). Bei der Telekom bspw. nutzen ein Großteil der Mitarbeiter allerdings das Telekom Social Network, in dem sie einerseits Wissen austauschen können, aber andererseits auch direkt mit dem Vorstand in Verbindung treten und deutlich machen, wo sie mehr Weiterbildung brauchen und welche Themen Ihnen wichtig sind.
Beim Student-Driven und Adaptive Learning gestalten die Lernenden den Content des Programms mit. Das wird einerseits durch persönliches Feedback oder durch die Auswertung von Daten, die im Rahmen der Programmnutzung erhoben werden, möglich. So können Weiterbildungsprogramme stetig an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepasst werden (Adaptive Learning). Andererseits können Mitarbeiter aber sogar bspw. eigene Microlearning-Module, kurze Videos oder (je nach technischen Fähigkeiten) gar eine App produzieren, um den nächsten Nutzern das passende Wissen zu vermitteln (wie die Anatomie-App, die Studenten der Columbia medical school entwickelt haben).
6. Echtzeit-Feedback, ganzjährlich und aus verschiedenen Quellen
Ohne Feedback keine Competition! Und vor allem keine Verbesserung. Traditionell gibt es einmal im Jahr ein Mitarbeitergespräch mit dem Chef. Da ist das tolle Projekt vom Anfang des Jahres schon längst vergessen und die Präsentation, die so in die Hose gegangen ist, hat der Chef gar nicht mitgemacht, da war er gerade verhindert, dazu wird er also auch nichts sagen. Was dann am Ende dabei rumkommt? Jedes Jahr dasselbe Palaver. Das könnte aber anders sein. Immerhin leben wir ja im Zeitalter von Big Data. Unternehmen wie Zalando experimentieren bspw. mit Programmen, die es Mitarbeitern ermöglichen, sich nach Präsentationen digital eine Bewertung und ein Feedback zu einer Präsentation einzuholen. Auch über andere Meetings und Veranstaltungen können Mitarbeiter ihre Meinung sagen und in der App mit Reglern einstellen, wie sie bestimmte Faktoren bewerten. Die Daten stehen einerseits in Echtzeit zur Verfügung, sodass jederzeit daran gearbeitet werden kann. Andererseits werden sie aber auch von dem Programm ausgewertet und aggregiert, sodass der Chef einen Überblick über den Mitarbeiter hat und das Mitarbeitergespräch gleich auf einer ganz anderen Basis führen kann. Mehr zu Beispielen aus der Praxis gibt es hier.
Alle Aspekte kombiniert hat SAP mit seiner Success Map Lernplattform, auf der Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten individuelle Ziele erarbeiten, einen persönlichen Lernfahrplan erstellen und die E-Learning-Einheiten auf ihren Bereich zuschneiden können. Parallel können sie ihren Lernfortschritt beobachten, Feedback zu dem Programm geben und sich mit anderen Mitarbeitern über die Lerninhalte austauschen.
Was ich Ihnen anbieten kann
Impulsvortrag oder Keynote
Egal ob Sie Wissen zur Generation Y oder zur Zukunft unserer Arbeit kurzweilig, informativ und überzeugend vermitteln wollen.
Ich helfe Ihnen gezielt zu kommunizieren. Infos oder Buchungsanfrage.
Workshop Angebot
Kultur, Struktur und Führung vieler Unternehmen müssen erneuert werden. Eine herausfordernde Aufgabe, bei der ich Sie gemeinsam mit meiner Businesspartnerin Dr. Jessica Di Bella gerne unterstützen – mit State-of-the-Art-Methoden. Infos oder Buchungsanfrage.
Mehr Input und Quellen
- Weitere Good-Practice-Beispiele und Learnings daraus gibt es hier.
- 5 digitale Lerntrends die Sie in den nächsten 5 Jahren beobachten sollten:
- 3 Trends, die das Lernen und Unterrichten in 2016 verändern werden
- Top 200 Tools for Learning in 2016
- Volker Schürmann, Optimiertes oder gelingendes Leben?, in: Olivia Mitscherlich-Schönherr, Matthias Schloßberger (Hrsg.), Das Glück des Glücks. Philosophische Anthropologie des guten Lebens, (= Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie, Bd. 4, Berlin/München/Boston 2014), S. 151
- Über Beschleunigung, Digitalisierung und die Fähigkeiten, die wir in der Zukunft brauchen, schreibt das World Economic Forum.
- Eine Studie von Deloitte darüber, wie Organisationen sich verändern müssen, um Schritt zu halten.
- Über das Entdecken von Talenten und verantwortungsbewusste Leader schreibt das World Economic Forum.
- Mehr zum Erfahrungslernen gibt es bei McKinsey.
- McKinsey hat außerdem über neue Feedback-Methoden geschrieben und Praxis-Beispiele analysiert.
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