Nehmt wieder Stift und Papier in die Hand!
WiWo Kolumne
Alle sprechen von Digitalisierung in der Bildung. Es ist höchste Zeit, dass junge Menschen in der Digitalen Kompetenz (DQ) gefördert werden, damit die Spaltung – bereits bei jungen Menschen – zwischen Nutznießern und Kennern der Digitalisierung minimiert wird und wir den Nachwuchs gut auf die Arbeitswelt von morgen vorbereiten. Dazu sollen Klassenräume mit Laptops ausgestattet werden, Kinder sollen lernen, sich sicher im Internet zu bewegen, mehr Online-Kurse angeboten werden und vieles mehr (dazu habe ich hier einen Artikel geschrieben).
Andererseits weisen Studienergebnisse darauf hin, dass ein kompletter Umstieg von analog auf digital auch nicht die optimale Lösung ist. Zu viel Smartphone, zu viel Laptop, zu viel ONLINE erhöht die Wahrscheinlichkeit von Smartphone-Abhängigkeit, reduzierter Aufmerksamkeitsspanne, Vergesslichkeit, Produktivitätseinbußen, Ungeduld, Unzufriedenheit und mangelndem Selbstwertgefühl bis hin zu fehlenden emotionalen und sozialen Kompetenzen.
- Ein Laptop lenkt ab. In Zeiten von kurzen Aufmerksamkeitsspannen und Massen von e-Mails ist ein Laptop tödlich für die Konzentration. Die Studie von Kay & Lauricella (2011) hat herausgefunden, dass in einer Vorlesung zwar die Hauptaktivität der meisten Studenten das Mitschreiben auf dem Laptop ist. Mehr als ein Viertel verbrachte dagegen über die Hälfte der Zeit mit privaten Messengern und 11 Prozent mit nicht-akademischen e-Mails. Noch wichtiger: 43 Prozent der Studenten waren der Meinung, ohne die Ablenkung des Internets besser performen zu können.
- Wir verarbeiten das Gehörte weniger. Mitschreiben hat zwei wichtige Funktionen: die Informationen für später, zum Wiederholen, aufzubewahren und die, das Gehörte zu strukturieren und zu verarbeiten. Mueller & Oppenheimer (2014) haben herausgefunden, dass Studenten, die auf dem Laptop mitschreiben, eher wortwörtlich mitschreiben, anstatt das Gehörte in eigene Worte zu fassen. Somit verarbeiten sie es schlechter.
- Wir sind weniger kreativ. Textverarbeitungsprogramme setzen uns Grenzen dabei, wie wir etwas strukturieren und aufschreiben, wir sind auf die vorgegebenen Zeilen beschränkt und können nicht plötzlich bspw. diagonal schreiben. Dem Stift auf dem Papier dagegen sind keinerlei Grenzen gesetzt, was die Gestaltung der Notizen angeht.
- Wir werden süchtig. Die Nutzung von Smartphone oder Laptop in Kombination mit Sozialen Medien setzt Dopamin frei. Über sich selbst zu sprechen, Likes und Anerkennung zu bekommen,fühlt sich gut an. Was dazu führt, dass das Verlangen danach steigt, sich immer wieder positive Kicks in Form von Aufmerksamkeit und Anerkennung übers Netz zu holen. Das kann zu einer pathologischen Übernutzung und somit zu einer Smartphone- oder „Cyberspace“ oder „Netz“-Abhängigkeit führen (Byun et al. 2009).
- Soziale Kompetenzen bauen ab. Die Übernutzung von Sozialen Medien oder privaten Messengern in der Interaktion mit anderen führt dazu, dass junge Menschen sozialer Kompetenzen für die direkte Face-to-Face Kommunikation in der analogen Realität nicht mehr oder nur noch eingeschränkt erlernen (Caon et al. 2013).
Was also tun, um diesen negativen Entwicklungen, um diesen neuen Herausforderungen entgegenzuwirken? Sowohl im eigenen Alltag, aber auch im Arbeitsumfeld?
Hier ein paar Tipps für Unternehmen, die sich daraus ableiten lassen:
- Konferenzräume ohne Smartphone-Nutzung
Auch wenn ein Smartphone klein und unscheinbar ist – sobald alle es in der Hand halten, stört es. Besonders in Konferenz- oder Klassenräumen sollten Smartphones deshalb nichts zu suchen haben. Im Meeting sollen wir den anderen zuhören, nicht auf unseren Bildschirmen herumtippen. Dann sind wir auch produktiver. Und während wir auf den Beginn des Meetings warten, haben wir die Chance, mit unseren Kollegen ins Gespräch zu kommen und echte Beziehungen aufzubauen.
- Dazu ermutigen, Notizen auf Papier statt auf dem Laptop zu machen – und dabei als Vorbild vorausgehen. Denn wer auf dem Laptop schreibt, kann vielleicht mehr und schneller schreiben, aber behält wesentlich weniger von dem, was er getippt hat, als der, der den Stift in der Hand hat.
- Lehren Sie, Feedback zu geben und Feedback zu erhalten.
Positives Feedback hören wir alle immer gerne. Es gibt uns Bestätigung und Selbstvertrauen. Aber das negative Feedback hilft uns, uns weiterzuentwickeln. Deshalb brauchen wir eine vernünftige Feedback-Kultur, die dazu ermutigt, ehrlich zu sein, aber immer auch das Positive zu betonen. Dann brauchen wir die Bestätigung in Sozialen Netzwerken vielleicht auch weniger.
- Speed-Dating-Formate in Unternehmen, bei denen es darum geht, Kollegen kennenzulernen, die man sonst vielleicht nicht treffen würde und sich einfach mal Face-to-Face zu unterhalten. Dabei muss es nicht einmal Speed-Dating sein. Ein gemeinsamer Lunch, ein Team-Frühstück oder Ähnliches reichen schon. Solange Smartphone, Laptop und Arbeit draußen bleiben.
- Digital Detox. Und manchmal gibt es nur noch eins, das hilft: Einfach mal Urlaub machen.
Quellen
- Fried, C. B. (2008). In-class laptop use and its effects on student learning. Computers & Education, 50, 906–914.
- Grace-Martin, M., & Gay, G. (2001). Web browsing, mobile computing and academic performance. Educational Technology & Society, 4, 95–107.
- Kay, R., & Lauricella, S. (2011). Exploring the benefits and challenges of using laptop computers in higher education classrooms: A formative analysis. Canadian Journal of Learning and Technology, 37(1).
- Kraushaar, J. M., & Novak, D. C. (2010). Examining the affects of student multitasking with laptops during the lecture. Journal of Information Systems Education, 21, 241–251.
- Mueller, P. A., & Oppenheimer, D. M. (2014). The Pen Is Mightier Than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking. Psychological Science, 25, 1159-1168.
- Skolnick, R., & Puzo, M. (2008). Utilization of laptop computers in the school of business classroom. Academy of Educational Leadership Journal, 12, 1–10.
- Sovern, J. (2013). Law student laptop use during class for non-class purposes: Temptation v. incentives. University of Louisville Law Review, 51, 483–517.
- Wurst, C., Smarkola, C., & Gaffney, M. A. (2008). Ubiquitous laptop usage in higher education: Effects on student achievement, student satisfaction, and constructivist measures in honors and traditional classrooms. Computers & Education, 51, 1766–1783.
- Byun et al. (2009). Internet Addiction: Metasynthesis of 1996-2006. Quantitative Research. CyberPsychology & Behavior, 12(2), 203-207
- Caon et al. (2013). A Pervasive Game to promote social offline Interaction. UbiCom´13, Sep. 8-12, Zurich
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