Jugend, Politik und die Bundestagswahl
Jetzt, sechs Wochen vor der Bundestagswahl ist auch das Thema Jugend, Politik und Politikverdrossenheit wieder medial präsent. Am Donnerstag war ich beim ZDF Mittagsmagazin zu Gast. In 3 Minuten Sendezeit war es mir aber nicht möglich, alle Inhalte und Thesen zu platzieren, die mir zu dieser Thematik wichtig sind. Deshalb nutze ich hier meinen Blog, um ein paar weitere Gedanken mitzuteilen – aufgeschlüsselt in 5 zentrale Thesen:
These 1: Etablierte Parteien machen Politik für Alte
Die großen und etablierten Parteien machen eher Politik für ihr eigenes Klientel, das heißt insbesondere Politik für die Alten. Statt Zukunftspolitik zum Beispiel für uns Jungen zu machen. Es ist heutzutage einfacher, einen über 60-Jährigen an die Wahlurne zu bringen, als einen Mitte 20-Jährigen.
Das hat aber auch ein Kalkül. Denn: Es gibt in unserer Gesellschaft einfach mehr über 60-Jährige als unter 30-Jährige. 44 Millionen über 40-Jährige Wahlberechtigte in Deutschland stehen 18 Millionen unter 40-Jährigen Wahlberechtigten gegenüber. Das zeigt ganz deutlich: Die Älteren sind der größere Wählermarkt, weshalb Parteien eher Politik für die Älteren machen statt für uns Jungen.
Ich nenne mal zwei Beispiele:
Erstens, die Rentenpolitik: Wenn Frau Nahles die Rente mit 63 und eine Haltelinie für das Rentenniveau einführt, werden damit eher Ältere und nicht die Jugend erreicht. Wir glauben ihr eh nicht, dass wir davon profitieren werden, wenn wir einmal in Rente gehen. Das wird wohl eher mit 70 sein.
Zweitens, der Ausbau der Digitalen Infrastruktur: Einem über 60-Jährigen ist es egal, wie gut die digitale Infrastruktur in Deutschland ausgebaut ist und dass wir im internationalen Vergleich nur auf den mittleren Plätzen rangieren. Und dass eine gute digitale Infrastruktur für die Deutsche Wirtschaft und uns als junge Generation sehr wichtig ist, interessiert die Generation Ü60 wahrscheinlich auch weniger.
Das heißt: Welche großartigen Zukunftsideen oder –visionen unterbreiten uns denn aktuell die etablierten politischen Parteien zu dieser Wahl?
These 2: Die Generation Y ist keine a-politische Generation
Die Nicht-Partizipation der jungen Generation wird von manch Älterem als „Politisches Desinteresse“ oder gar als „Demokratie-Verweigerung“ gewertet. Das kann man auf der einen Seite so betrachten. Das will ich auch nicht vereinen. Viele junge Menschen organisieren lieber eine Party als eine Demo. Sie kennen den Party-Veranstaltungskalender in ihrer Stadt besser als die Termine der Wahlen. Deshalb mein Appell an die Jugend: Tragt Euch den 24. September fett in Euren Kalender ein. Geht zur Wahl (nicht den Personalausweis vergessen). Gebt Eure Stimme ab! Nur so haben wir – gebündelt als junge Generation – die Chance, ein wichtiges Zeichen zur Bundestagswahl 2017 zu setzen.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, dass junge Menschen auf eine neue Art politischer sind als jede Generation zuvor. In Sozialen Medien haben wir die Möglichkeit, pausenlos unsere Meinung mitzuteilen, andere Meinungen zu kommentieren und gemeinsam zu diskutieren. Ob zu Ereignissen wie der Türkei-Sartire von Böhmermann, dem Brexit oder dem Ausstieg von Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen.
Social Media ist also eine neue Form der demokratischen Partizipation, die es bisher in dieser Art und Weise nicht gegeben hat. Und vielleicht ist es auch genau das, was Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag in 1969 vorausahnte, als er sagte: „Wir sollten mehr Demokratie wagen“. (hier gehts zu seiner Regierungserklärung) Heute, fast 50 Jahre später, klingt das richtig visionär, ohne das Willy Brandt Facebook oder Internet kannte. Das nennt man visionäres Politikverständnis.
Vielleicht sind es neue Formen der politischen Partizipation, die es braucht, damit junge Menschen auch wieder vermehrt wählen gehen. Zwei tolle Beispiele hierzu: Der Facebook-Kanal der Bundesregierung. Wirklich klasse, wie die Redaktion dort kommuniziert, diskutiert – schlagfertig, witzig, informativ. Diese Kommunikation ist ganz anders als bspw. bei den klassischen Wahlveranstaltungen. Auch das Internet-Format der YouTuber mit Angela Merkel fand ich klasse. Für beides deshalb: Daumen hoch, großes Lob!
These 3: Demographischer Wandel – die junge Generation ist nicht zu schwach, zu unwichtig, um politisches Gewicht zu erlangen.
Auch die Deutsche Wirtschaft hat lange geglaubt, dass die junge Generation zu schwach und zu unwichtig ist. Und nun hat sie mit den unter 30-Jährigen eine stark umworbene Generation. Eine der in der Deutschen Wirtschaft am meist diskutierten Fragen ist: Wie schaffen wir es, einen Draht zu jungen Menschen aufzubauen? Wie wollen die kommunizieren? Wie wollen die geführt werden? Welche Bedürfnisse haben sie? Wie können wir junge Menschen für uns begeistern?
Zwar sind wir quantitativ in der Minderheit, qualitativ sind wir jedoch eine sehr wichtige Generation. Und so wie es die Deutsche Wirtschaft auch verstanden hat bzw. am verstehen ist, so wird das auch irgendwann bei den Parteien und in der Politik ankommen. Dann werden auch die anfangen, umzudenken. Müssen sie auch – und sollten sie auch. Denn: Zwar geht es uns aktuell gut in Deutschland (Einzig und alleine aufgrund der Null-Prozent-Zinspolitik der EZB Bank, die billiges Geld in die Wirtschaft pumpt.).
Das kann sich aber schnell verändern, es kann schnell ungemütlich werden. Wenn dann Terror, wirtschaftlicher Abschwung und Arbeitslosigkeit dominierende Themen sind, wird es umso schwieriger, junge Menschen dazu zu motivieren, zur Wahl zu gehen.
Deshalb hier auch mein Appell an die Parteien und an die Bundesregierung: Nehmen Sie die Bedürfnisse junger Menschen ernst und setzen Sie sich dafür ein! Als Beispiel: Sorgen Sie für bezahlbaren Wohlraum in Großstädten. Junge Menschen zieht es vermehrt in Großstädte wie München, Berlin, Köln, Hamburg, Stuttgart. Es sind aber genau diese Städte, in denen die Mieten permanent stark ansteigen. Und es kann doch nicht sein, dass junge Menschen so viel Mietgeld in die Kassen der Alten einzahlen – weil es die Alten sind, denen die Immobilien gehören. Keine einzige Partei hat es bis dato geschafft, genau zu diesem Problem eine funktionierende Lösung zu finden. (Die Mietpreisbremse hat zu viele Schlupflöcher).
Zweites Beispiel: Wir brauchen in Großstädten ganz dringend nichtökonomisierte Räume, in denen sich junge Menschen entfalten können, ausprobieren können, sich austauschen können und gemeinsam Ideen großmachen können (Start-Up-Inkubatoren kosten eine Menge Geld pro Tag / Monat). Es kann doch nicht sein, dass alles Geld kostet, dass alles von Profit getrieben ist.
Vielleicht könnte uns aber auch eine Jugendquote in der Politik und den Parteien weiterhelfen (Was ich schon im letzten Jahr vorgeschlagen habe). Wobei eine Quote alleine aber nicht ausreichen wird. Parteien müssen, ähnlich wie Unternehmen auch, lernen, dass es wichtig ist, politische Talente zu erkennen und diese dann auch zu entwickeln. Anders wird eine Quote nicht funktionieren, wie wir am Beispiel der FDP und Philipp Rösler gesehen haben. So etwas wollen wir Deutschland sicherlich nicht mehr zumuten.
These 4: Die alten Wege der Parteienmitgliedschaften sind veraltete Werkzeuge, um junge Mitglieder zu gewinnen. Die Politik muss neue Wege suchen – ähnlich wie auch die Unternehmen in Deutschland aktuell einen Wandel durchlaufen.
Herkömmliche Parteienmitgliedschaften sind viel zu kompliziert, altbacken und bürokratisch. Junge Menschen haben keinen Bock, sich jahrelang konform zu verhalten und sich hochzudienen. Alle Parteien sind immer noch stark hierarchisch organisiert. Das widerstrebt jungen Menschen. Sie bevorzugen einen schnellen Austausch auf Augenhöhe. Darüber hinaus ist das Parteiensystem stark ortsgebunden organisiert, was an der Lebensrealität junger Menschen vorbei zielt. Junge Menschen leben und arbeiten heute häufig mehr mobil und flexibel.
Darüber hinaus könnte Politik insgesamt mit guten Ideen antreten. Politik könnte experimentierfreudiger und mutiger sein. Und Politik könnte auch mehr Quereinsteiger zulassen. Experimentierfreude könnte sein, das Bedingungslose Grundeinkommen auszuprobieren, komplette Großstädte mit grünen Energien zu versorgen oder autolose Innenstädte in Großstädten zu testen. Ich bin mir sicher, dass mit einer solchen Experimentierfreude auch mehr junge Menschen erreicht werden.
Das Thema Quereinstieg ist aktuell auch ein zentrales Thema in der Deutschen Wirtschaft. Wir erleben zunehmend moderne Zickzack-Lebensläufe. Prognosen gehen davon aus, dass junge Menschen in ihrem Berufsleben ca. 6 Mal ihren Job wechseln werden. Dazu gehören dann auch Branchenwechsel. Mit dieser neuen Realität sind Unternehmen konfrontiert und sind dabei, zu verstehen, dass sie keine andere Wahl haben, als sich darauf einzustellen. Das wünsche ich mir auch von der Politik. Ich bin überzeugt davon, dass es so viele junge kluge und tolle Menschen aus dem Sport, der Wissenschaft, der Kunst oder der Wirtschaft gibt, die in ihrer Diversität eine absolute Bereicherung für das Parlament darstellen würden.
These 5: Das Desinteresse auf der klassischen Parteienebene liegt auch an den Parteien selbst. CDU und SPD sind sozusagen alte Schuhe. Die FDP, Grünen und auch die LINKE sind keine jungen Revoluzzer-Parteien (mehr). Und die AfD, sie stößt bei den Jungen in der Breite erst recht nicht auf Zustimmung.
Genau das ist das Dilemma, in dem wir stecken. Wen wählen? Umso wichtiger ist es, dass die Parteien anfangen zu verstehen, dass es nicht nur darum geht, Wahlen zu gewinnen, sondern auch darum, gut zu regieren.
Ein Beispiel: Die CDU wird niemals die Privilegien der Beamten antasten. Das ist nicht gut, weil es ungerecht ist. Wie kann es bspw. sein, dass eine Frau, die 50 Jahre bei einem Steuerberater arbeitet, in der Rente 1.500 Euro Rente ausgezahlt bekommt und ihre Kollegin, die 50 Jahre lang die gleiche Tätigkeit beim Finanzamt durchgeführt hat, 2.500 Euro Pension ausgezahlt bekommt. Das ist nicht gerecht. Wir nehmen auch keine Arbeitsministerin ernst, die als Abgeordnete nicht in die allgemeine Rentenkasse einzahlt. Mit solchen Ungerechtigkeiten lässt sich kein Vertrauen zu jungen Menschen aufbauen. Das Thema Gerechtigkeit ist ein ganz zentrales Merkmal der jungen Generation. Taktieren ist ihr fremd, in der Politik aber noch tief verankert.
Abschließend nochmal mein Appell an junge Leute: Tragt Euch den 24. September in den Kalender ein! Setzt Euch mit politischen Themen auseinander, diskutiert mit Freunden, mit Euren Eltern, macht Euch schlau über Wahlprogramme etc. Und lasst uns gebündelt ein starkes Signal bei der Bundestagswahl 2017 setzen 🙂
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