Ist das Streben nach Individualismus so schlecht?
Individualismus ist nicht mit Egoismus gleichzusetzen. Wird aber häufig gleich interpretiert. So heißt es auch sehr häufig: Die Jugend von heute hat nur sich selbst im Fokus. Blödsinn! Denn das Streben nach Individualismus und Streben nach Konnektivität schließt sich nicht aus. Nur bei jenen, die immer noch im „Entweder-oder“ Denkmuster verharren.
Deshalb: Pflanzen Sie sich den „Sowohl-als-auch“ Mindset in Ihren Kopf. Klassische „Entweder-oder“ Beziehungen werden immer mehr zum Auslaufmodell. Entweder Arbeit oder Studium, Arbeit oder Familie, Mann oder Frau, Selbstverwirklichung oder Teamgeist – alles Schnee von gestern. Naja. Noch nicht ganz. Aber bald. So auch die klassische Biografie: Ausbildung, Arbeit, Rente (als Mann) // Ausbildung, Kindererziehung, Rente (als Frau). Ein Modell, das bald Geschichte schreibt und auf unsere Kinder so altertümlich wirken wird, wie auf uns heute der Kampf um die Homo-Ehe.
Mutligrafie statt Biografie – so lautet das Modell der Zukunft. Was auch heute schon vereinzelt gelebt wird. Und während klassische Biografien in ihrem Werdegang häufig vorbestimmt waren, sieht das in Zeiten von Multioptionalität und wachsendem Freiheitsgrad etwas anders aus. Denn: Wir müssen uns heute unser Leben selbst gestalten – Eltern dienen hierzu immer weniger als Vorbild. Und was macht man, wenn man die Vielfalt der Lebens-Facetten selbst in die Hand nimmt? Sich natürlich auch stärker auf sich selbst konzentrieren. Als Beispiel: Schon alleine die Frage „Was machen wir, wenn das Kind auf der Welt ist?“ mutiert zu einem ganzen Rattenschwanz an Fragestellungen und somit auch Entscheidungen. Wer bleibt zu Hause? Für wie lange? Ab wann Kind in Kita bringen? Wer arbeitet wie weiter? Was erlaubt der Arbeitgeber? Was nicht? Ähnlich komplex sind Fragestellungen wie: Welches Studium möchte ich absolvieren? Wo sehe ich mich in vier bis fünf Jahren? Welche Stärken habe ich und wie kann ich diese fördern? Man könnte sagen: Mit steigender Komplexität unserer Gesellschaft und Wirtschaft steigt auch die Komplexität unterschiedlicher Lebensstile.
Dieser Ausbruch aus klassischen Mustern ist aber nicht mit Egoismus gleichzusetzen, sondern eine zentrale Voraussetzung, um im schnellen und dynamischen Wandel der Welt nicht den Anschluss zu verlieren – vor allem in der Arbeitswelt. Statt also junge Menschen in ihrem Selbstverwirklichungs-Drang einzufangen ist es wichtig, sie bei ihrem Bedürfnis zu unterstützen. Das ist besonders dann von Vorteil, wenn Sie als Unternehmer, Personaler oder Führungskraft nach den Besten der Besten suchen. Da suchen Sie sicherlich auch mehr nach starken Charakteren statt nach Mainstream. Oder? Und seien Sie stolz darauf, wenn ihre Besten über Sie hinauswachsen und flügge werden. Dann sollten Sie nicht eingeschnappt reagieren, sondern jene beim Verlassen des Unternehmens aktiv unterstützen. Warum? Dadurch steigt die Option, dass dieser Mensch irgendwann für ein spannendes Projekt wieder zu Ihnen zurückkommt. Bauen Sie sich deshalb auch einen eigenen Pool an guten Arbeitnehmern auf, die sie auch über das bestehende Arbeitsverhältnis hinaus auf ihrem Weg begleiten. Also mehr in Form von beobachten, Kontakt halten und Netzwerk pflegen.
Sie halten das für Quatsch?
Mh. Dann sollten Sie umgehend Ihr Denkmuster verändern. Denn schon heute wird in Zukunfts- und Trendforscher-Kreisen darüber diskutiert, dass diese Wechselbereitschaft von Mitarbeitern zukünftig deutlich steigt, der Trend ist nicht mehr umzukehren, und sich Unternehmen deshalb auch konstruktiv damit auseinander setzen sollten.
Aber kommen wir nochmal zurück zum Thema Individualität. Individualität ist die Gesamtheit aller Merkmale, die einen Menschen von anderen unterscheidet. Also die persönlichen Alleinstellungsmerkmale. Und sind es nicht diejenigen, die darüber entscheiden (sollten), wie gefragt wir auf dem Arbeitsmarkt sind? Eigentlich schon oder? Und ist es nicht auch so, dass jungen Menschen immer weniger unbefristete Festanstellungen angeboten werden? Schon, oder? Und ist es nicht so, dass wir heute mit der Unsicherheit leben (müssen), vielleicht irgendwann selbst vom Effizienz-Rasierer der Geschäftsleitung ausgesiebt zu werden? Schon, oder? Deshalb ist es doch eher wünschenswert, wenn der Trend hin zu mehr Bewusstsein für mehr Individualität geht! Und umso wichtiger ist es, sich als Unternehmen auf diesen noch verhältnismäßig jungen Megatrend Individualisierung einzustellen. Diversity-Management ist hierzu ein ganz zentrales Stichwort! Das Gießkannen-Prinzip hat ausgedient!
Und wissen Sie was: Der Wunsch nach Individualität steigert auch den Wir-Gedanken und widerspricht dadurch dem Verständnis von Egoismus, ichbezogen und rücksichtslos zu handeln. Dazu aber mehr im nächsten Blogbeitrag. Und im übernächsten sprechen wir dann über die Herausforderungen die bei steigendem Individualismus auf uns zukommen.
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