Artikel in der Rhein-Zeitung: Sie spinnen nicht, sie können was
Artikel aus Rhein-Zeitung WIRTSCHAFT 01/2019: Millenials-Botschafterin Steffi Burkhart appelliert an Wirtschaft und Politik, den Jungen Führungsverantwortung zu übertragen. Ein Interview über den Kampf um Talente und darüber, wie die Generation Y und Z tickt.
Speakerin, Human Capital Evangelist und TV-Interviewpartnerin Dr. Steffi Burkhart hat ein Ziel: Sie möchte der deutschen Wirtschaft die Sicht und das Potenzial ihrer Generation näherbringen. Wer den Standort sichern wolle, müsse Change-Prozesse einleiten, Nachwuchstalente anziehen und Digitale Könner einbinden. Die gebürtige Rheinland-Pfälzerin, Jahrgang 1985, wird in ihrem Vorhaben durch Persönlichkeiten wie Prof. Dr. Jutta Rump, Prof. Dr. Gunter Dueck, Norbert Lehmann und Nina Ruge bestärkt.
Frau Dr. Burkhart, in Deutschland und in der Region herrscht ein vielbeschworener Kampf um Talente. Zu welchen „Waffen“ soll(t)en Unternehmen, insbesondere mittelständische Unternehmen im nördlichen Rheinland-Pfalz, greifen?
Der Kampf um Talente geht erst noch richtig los. Bis 2030 werden die meisten Babyboomer in Rente gehen, dann entsteht eine Lücke von acht Millionen Arbeitsplätzen, die nicht nachbesetzt werden können. Die Entwicklung ist schon heute erkennbar – mit Ausnahme der Folgen von Ein- und Auswanderung von Fachkräften und der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI). Diesen Arbeitskräftemangel werden wir nicht nur in Deutschland erle-ben, sondern global. Aufgrund der Demografischen Entwicklung verschiebt sich der Arbeitgebermarkt hin zu einem Bewerbermarkt. Das führt für Stellenkandidaten zur sogenannten Multioptionalität. Schon heute bekommen Menschen bei Social-Business-Netzwerken wie LinkedIn oder Xing Headhunter-Anfragen für einen anderen Job oder Arbeitgeber. Die Bewerber und Mitarbeiter sitzen am län-geren Hebel – nicht umgekehrt. Es braucht deshalb auf Seiten der Arbeitgeber eine neue Haltung. Im Silicon Valley muss schon heute ein Arbeitgeber innerhalb eines Tages einen Arbeitsvertrag per E-Mail an den Wunschkandidaten senden. Tut er das nicht, entscheidet sich dieser für die Konkurrenz.
Können Arbeitgeber Nachwuchs-kräfte nicht mehr langfristig binden?
Der War for Talents macht es für Unternehmen nicht leicht. Vor allem gute, junge Leute haben Lust darauf, sich selbstständig zu machen – entweder um als freier Projektarbeiter Unternehmen zuzuarbeiten oder gemeinsam mit anderen ein Start-up zu gründen. Vermutlich werden bis 2030 40 Prozent der Millennials frei mit Unternehmen kooperieren, statt sich anstellen zu lassen. Viele haben keine Lust mehr auf schlechte Führung, starre Strukturen, alte Einzelzimmer-Büros, fehlende Experimentierräume, Weiterbildung nach Gießkannen-Prinzip, männliche Monokulturen in Chefetagen oder auf ethisch-moralisches Fehlverhalten, wie wir es aus der Finanzbranche kennen und aktuell in der Automobilbranche erleben.
Für den Mittelstand kommt erschwerend hinzu, dass die Großen viele Talente vom Markt abgreifen. Unternehmen stehen also vor einem strategischen Wendepunkt: Es braucht den systematischen Aufbau eines Talentpools auf allen Ebenen einer Organisation. Die Investitionen in das intellektuelle Kapital – von der Mitarbeitergewinnung bis hin zur Mitarbeiterbindung – werden zukünftig über den Erfolg von Unternehmen entscheiden. Leider haben das viele mittelständische Unternehmen noch nicht verstanden. Aufwachen ist angesagt!
Manche Unternehmen entscheiden sich, freie Stellen nicht zu besetzten, weil sie die Bewerber nicht für geeignet halten. Würden Sie Unternehmen und Personalabteilungen zu mehr Wagnis und Mut, gekoppelt an interne Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, raten?
Ich halte sogar eine Weiterbildungspflicht der Mitarbeiter für geboten. Es ist grob fahrlässig, wenn Mitarbeiter nicht permanent strategisch entwickelt werden. Das ist ein Change-Prozess, der verstanden und umgesetzt werden muss. Die Dringlichkeit muss von ganz oben erzeugt werden.
Wenn sich durch den Einzug von Automatisierungsprozessen, Robotik und KI Jobprofile verändern oder neue Jobprofile entstehen, müssen Menschen bei diesen Veränderungen mitgenommen werden – und im Übrigen auch selbst mitgehen. Das trifft auch auf meine Generation zu. Was wir vor zehn Jahren an der Uni oder in der Ausbildung gelernt haben, ist heute zum Teil schon überholt. Damals gab es noch keine technologiebasierten Leistungskennzahlen (KPIs), BWLer wurden zum Großteil für Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ausgebildet und Themen wie Innovationsmethoden, Digitalisierung von Geschäftsmodellen und Führung anhand von Objective and Key Results (OKRs) wurden nicht gelehrt. Deshalb haben wir in diesen Bereichen derzeit enorme Defizite.
Was empfehlen Sie als Maßnahme dagegen?
Wenn an Unis und Hochschulen zum Teil veraltetes und unrichtiges Wissen vermittelt wird und wenn sich Anforderungen an uns Menschen schneller verändern, bleibt Unternehmen nichts anderes übrig, als einen eigenen Bildungscampus aufzubauen, mit Hochschulen und Unis zu kooperieren und Lehrpläne mit zu gestalten. Unternehmen sollten die besten Trainer und Experten einkaufen. Weil klassische Bildungseinrichtungen der Realität hinterher hinken, bin ich fest davon überzeugt, dass 2030 eines der größten Unternehmen der Welt aus dem Bereich Education stammen wird.
Sie haben 2016 eine „Gebrauchsanweisung für die Generation Y“ veröffentlicht. Was ist Ihre Hauptaussage?
Anders als viele unserer Eltern leben wir keine klassische Drei-Phasen-Biografie sondern Multigrafien: zwischen Vollzeitfestanstellung, Selbstständigkeit, Teilzeitanstellung, Sabbatical, Auslandsaufenthalt und Branchenwechsel. Wir sind die erste Generation, die vermutlich acht Mal ihren Job wechseln wird – ob wir es wollen oder nicht. Davon geht das World Economic Forum aus. Ich persönlich glaube, die Zahl wird höher liegen. Wir leben eher im Zickzack statt uns über Jahre hinweg mühselig auf der vertikalen Karriereleiter hoch zu schuften. Wenn wir woanders ein besseres Arbeitsumfeld antreffen, uns besser entwickeln oder mehr Wirkkraft erzeugen können, dann sind wir ganz schnell weg. Dies gilt auch, wenn Millennials wahrnehmen, dass Chefs keine Lust auf Menschenführung haben.
„Die spinnen, die Jungen“, lautet der Titel des Buchs, das Sie 2016 veröffentlicht haben. Spielen Sie damit auf zu große Erwartungen an, oder haben die Jungen vielleicht einen „Dachschaden“ aufgrund der Dauer-Handybestrahlung?
Das ist pure Ironie. Wir als Millennials finden uns häufig in Organisationen wieder, in denen wir unser Potenzial nicht wirklich einbringen können. Leider sitzen, bis auf Einzelfälle, in vielen Unternehmen und Ministerien und auf wichtigen gesellschaftlichen Positionen oder in Vorständen ausschließlich Vertreter älterer Generationen, die in ihrem altbewährten Modus der Erfahrung untereinander Geschäfte machen oder füreinander Politik. Der Entscheider-Prototyp ist männlich, älter als 50 Jahre und hoch konservativ. Es fehlt an Denk-Diversität. Als Generation sind wir quantitativ in der Minderheit. Bis auf den Bereich Gründung, wo wir sicherlich die Hauptideengeber sind, passiert derzeit noch relativ wenig in Deutschland.
Was empfehlen Sie?
Unternehmen müssen agilere Organisationsformen ausprobieren. Heute und morgen geht es um Kooperation, um eine schnellere Adaption an die Marktdynamik, und darum, kreativ auf Chancen und Risiken zu reagieren. Sonst geht es linear abwärts, wie wir es derzeit bei der Deutschen Bahn miterleben. Unternehmen müssen sich neu einstellen auf Zickzack-Lebensläufe sowie Quereinsteiger und mehr Durchlässigkeit innerhalb der eigenen Strukturen ermöglichen. Dazu gilt es, starre Hierarchien – auch in den Köpfen der Menschen – aufzulösen und mehr in Netzwerken zu denken und zu agieren.
Wie sieht gute Führung aus?
Management, Leadership und Fachexpertise müssen differenziert(er) betrachtet werden. Wir kommen aus einer Zeit, in der der Vertriebler, der den besten Umsatz gemacht hat, zur Führungskraft befördert wurde. Die Annahme, dass dieser auch Menschen gut führen kann, ist häufig ein Trugschluss! Oftmals ist diese Führungskraft mehr daran interessiert, weiterhin den besten Umsatz zu machen als die eigenen Mitarbeiter dahin zu entwickeln, noch bessere Zahlen zu schreiben. Unternehmen verlieren durch diesen Beförderungsansatz zwei Dinge: den Top-Vertriebler und junge Talente, die das Unternehmen wegen schlechter Führung wieder verlassen.
Im dynamischen und wettbewerbsintensiven Marktumfeld reichen mittelmäßige Führungskräfte nicht mehr aus. Wenn Organisationen und Menschen permanent Ideen entwickeln und agiler arbeiten sollen, brauchen wir gut ausgebildete Leader, die sich darauf verstehen, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Schon das Schulsystem sollte anders ausgerichtet werden. In Singapur werden für Kinder bis acht Jahre keine Schulnoten mehr vergeben, Finnland schafft bis 2020 klassische Schulfächer ab, der Dalai Lama stellt in Indien „Glück“-Unterricht an Schulen vor. Wir müssen in jungen Menschen die Kompetenzen fördern, in denen sie sich als Menschen von Maschinen unterscheiden, statt sie im Informations- und Digitalzeitalter mit Maschinen konkurrieren zu lassen. Technologische Entwicklung setzt auch ein hohes Maß an Kreativität und Mut zu Regelbrüchen voraus – anders ist Innovation nicht möglich. Genau deshalb suchen viele Unternehmen derzeit auch händeringend nach kreativen Köpfen.
Welche Rolle spielen Region, wirtschaftliches Umfeld, Infrastruktur und Unternehmensgröße neben Aspekten wie Unternehmenskultur und Führungsstil für Stellenkandidaten?
Der Standort spielt eine wichtige Rolle. Ich bin auf dem flachen Land in Rheinland-Pfalz aufgewachsen, lebe und arbeite nun in Köln. Die digitale Infrastruktur ist auf dem Land vielerorts katastrophal. Ich kann bei meinen Eltern zwischen Landau und Pirmasens nicht mit Businesspartnern skypen, im Garten habe ich 3G und kann somit keine E-Mails übers Handy abrufen. Es braucht eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Und zwar kompromisslos 100 Prozent 5G-Netzabdeckung, sowie Breitband-Internet-Versorgung. Wenn Kanzleramtschef Helge Braun wie 2018 die Meinung äußert, wir brauchen den 5G-Mobilfunk nicht überall in Deutschland, sehe ich unser Wirtschafts-wachstum gefährdet. Ganze Industrien können hinter die in-ternationale Konkurrenz zurückfallen. Und wenn Bundesmi-nisterin Julia Klöckner behauptet, sie möchte aus Rheinland-Pfalz das nächste Silicon Valley machen, – das war ihre Aussage in 2016 bei einer ge-meinsamen Paneldiskussion – klingt das völlig weltfremd.
Aber Ziele zu formulieren ist der erste Schritt.
Ja, aber dann müssen sie auch umgesetzt werden. Amazon als Beispiel will seine zweite Hauptzentrale bauen und dazu 5 Milliarden Euro investieren und 50.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Es hat eine Ausschreibung für Städte formuliert. 238 Städte aus Nordamerika haben sich daraufhin beworben, 50 stehen in der engeren Auswahl und versuchen, mit kreativen Ideen zu überzeugen. Mein Appell: Zur Standortpolitik gehört auch, sich bei nationalen und internationalen Groß-/Unternehmen als attraktiver Standort zu bewerben. Tesla überlegt, einen Produktionsstandort in Rheinland-Pfalz oder Saarland aufzubauen. Ich bin gespannt auf die Entscheidung. Allerdings darf man nicht alleine auf die Großen setzen, sondern muss auch attraktiv für kleine und mittelständige Unternehmen sein. Vor allem kleine Unternehmen brauchen Entlastung, den Abbau von Druck durch Regularien.
Sie fordern eine „Jugendquote“ in Politik und Wirtschaft bis in Spitzenpositionen. Ist dort nicht zu Recht Erfahrung gefragt?
Google, Tesla oder Facebook wurden auch nicht aus dem Modus der Erfahrung gegründet, oder? Erfahrung ist in der heutigen Zeit überbewertet. Die Millennials, also die zwischen 1980 und 2010 Geborenen, sind die einflussreichsten Alterskohorten im digitalen Zeitalter. Ihre Mind- und Skillsets werden die Wirtschaft nachhaltig verändern. Der Ein-satz von 3D-Druck, Internet of Things oder Künstlicher Intelligenz ist die Zukunft.
Experten aus der Babyboomergeneration haben diese Entwicklung maßgeblich mitgeprägt.
Ja, aber diese Technologien müssen weiter erforscht, entwickelt und gesteuert werden. Das werden nicht mehr die Al-ten tun.
Millennials sind auch starke Treiber für ein modernes Kundenverhalten. Wer bei Google einen Suchbegriff eingibt, erhält innerhalb von 0,3 Sekunden zwei Millionen Antworten. Wir erwarten eine Kundenreise ohne Friktionen. Bevor wir in ein Restaurant oder den Elektrohandel gehen, recherchieren wir als ‚vernetzter und informierter Shopper‘ auf Bewertungsplattformen. Und der Einkauf vor Ort? Meine Generation will Wow-Momente, so viele wie möglich. Wir befinden uns im Übergang zur Erlebnis-Ökonomie. Die beste Kundenerfahrung zu ermöglichen und den Kunden in den Mittelpunkt allen Handels zu stellen, ist die neue Herausforderung im Umgang und Austausch mit ihm. Große Marken sind bereits bestrebt, den Markenauftritt und die Personalbesetzung im Verkauf zu verändern.
Sie haben bei Ihrem ersten Arbeitgeber, einem Großkonzern, zwei Jahre ausgehalten. Wären Sie bei einem kleinen, mittelständischen Unternehmen voraussichtlich länger geblieben?
Gute Frage. Zwei Dinge haben mich bewegt, den Konzern zu verlassen: Schlechte Führung und starre Strukturen mit seinem Silo-Mindset. Abteilungen konkurrieren statt zu kooperieren; Verantwortung wird hin und hergeschoben. Für mich war das wie ein Kulturschock. Den kann es aber auch in einem kleineren, mittelständischen Unternehmen geben.
Welche Anstöße haben Sie von Prof. Dr. Jutta Rumpp, Prof. Dr. Gunter Dueck und Nina Ruge erhalten?
Prof. Dr. Jutta Rumpp und Nina Ruge haben meine Entscheidung geprägt, mich nicht nur für den jungen Nachwuchs, sondern insbesondere auch für die weibliche Nachwuchsförderung und gegen männliche Monokulturen einzusetzen. Die nächste Generation der Frauen soll gleichwertige Karriere- und Verwirklichungschancen erhalten. Gunter Dueck hat das Konzept der doppelten F-Quote ins Spiel gebracht: ein „F“ für die „Frauen“-Quote, das andere für die sogenannte „Feeling“-Quote, also für Menschen in Führungspositionen und in Vorständen, die emotionale Intelligenz an den Tag legen.
Norbert Lehmann hat mir Präsenz im Mittagsmagazin verschafft und mir eine Stimme zu Themen wie Rente und Bundestagswahl verliehen. Allen bin ich für ihren Support sehr dankbar. Dies führt zu meinem Abschluss-Appell an die Millennials: Umgebt Euch mit Menschen, die euch ermutigen und supporten, eure Ziele, Wünsche und Visionen zu erreichen.
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