Artikel im HR Performance Magazin: Moderne Frauenförderung in Organisationen
Aufwachen ist angesagt! Bis 2030 gehen die meisten Babyboomer in Rente und zu wenige junge Arbeitskräfte rücken nach. Das wird Deutschland in eine tiefe Arbeitskräftekrise stürzen: Es werden circa 8 Millionen erwerbsfähige Menschen fehlen – laut BCG[1] knapp ein Fünftel der benötigten Arbeitskraft. Diese Entwicklung zeichnet sich schon heute ab – ungeachtet der Ein- und Auswanderung von Fachkräften und der Entwicklung der Robotik und Automatisierung.
Hinzu kommt, dass selbst Länder wie Frankreich, Spanien oder Italien, die jetzt noch einen Arbeitskräfteüberschuss haben, in zehn Jahren ebenfalls an einem Mangel leiden werden. Folglich werden Unternehmen nicht mehr nur in der gleichen Branche, regional oder national um Millennials konkurrieren, sondern weltweit. Umso wichtiger wird es, sich auf Führungsebene nicht nur 50 Prozent des Talentpools zu bedienen – nämlich des männlichen Anteils –, sondern 100 Prozent: mithilfe von datenbasiertem Verhaltensdesign. Unternehmen können es sich nicht mehr erlauben, talentierte junge Frauen aus der Führungskräfte-„Pipeline“ auszugrenzen, sie dadurch zu frustrieren und an die Konkurrenz zu verlieren.
Schlechtes Design führt zu schlechten Entscheidungen
Als Impulsgeberin der deutschsprachigen Wirtschaft spreche ich im Jahr auf über 100 Veranstaltungen. Bei Management- und Führungsveranstaltungen begegnet mir immer das gleiche Phänomen: Egal, ob 10, 100 oder 1.000 Führungskräfte vor mir sitzen, 80-95 % von ihnen sind männlich. Ähnlich wie heute noch viele Führungsetagen, waren in den 70er Jahren Symphonieorchester fast ausschließlich mit Männern besetzt. Ein winziges Detail aber erschuf eine neue Realität – und einen Anteil von Frauen in Orchestern von heute 40 Prozent. Angestoßen wurde diese Entwicklung durch das Boston Symphony Orchester. Es implementierte beim Vorspielen einen Vorhang zwischen Musiker und Jury. Und schon geschah „Unglaubliches“: Der Talentpool verdoppelte sich auf 100 Prozent.Durch Einführung der Blind Audition konnte das beste Team zusammengestellt und der Frauenanteil auf fast 40 Prozent erhöht werden.
Fakt ist: Dieser gläserne Deckel ist real – und damit auch die Benachteiligung von Frauen bei der Beförderung. Mütter trifft es am schlimmsten[2]: Sobald sie zu arbeiten beginnen, wird intuitiv erwartet, dass sie sich auf die Erziehung ihrer Kinder konzentrieren. Männer hingegen werden regelrecht angespornt, im Job „ihren Mann zu stehen“. Und das trotz jahrzehntelanger Forschung, Diversity Trainings, Frauennetzwerken oder Awareness Programmen für Chefetagen.
Ursache sind die beiden Denksysteme unseres Gehirns
Eine Ursache dieser Stagnation liegt auch in unserem Gehirn, das über zwei Denksysteme verfügt: System 1 ist schnell, immer aktiv, emotional und unbewusst. Es trifft spontane Entscheidungen und hilft, die Komplexität des Alltags zu reduzieren – mithilfe von Faustregeln, Stereotypen und Kategorisierung. System 2 ist langsam, seltener aktiv, logisch und bewusst. Es plant Absichten und trifft überlegte Entscheidungen. Unser „Denkfehler“ besteht darin, dem ersten schnellen System in stressreichen Situationen, bei geistiger Ermüdung oder emotionaler Ablenkung die Überhand zu überlassen. Phänomenen, denen wir im Berufsalltag permanent ausgesetzt sind. Und so ist es fast unmöglich, unsere Gehirne von Stereotypen zu befreien und unsere Entscheidungen und unser Verhalten zu ändern. Der rational handelnde Homo Oeconomicus hat demnach nie existiert. Für diese Erkenntnis hat Daniel Kahnemann den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten.
Das falsche „Pipeline“ Argument
Wer behauptet, es gäbe nicht genügend gut ausgebildete Frauen, liegt falsch. Häufig werden tolle junge Frauen nicht als Führungstalent erkannt, weil sie nicht den klassischen Beförderungsrichtlinien entsprechen. Ein Knoten im Kopf, den wir erst mal lösen sollten.
Gutes Design hebelt die Wirkung alltäglicher Phänomene aus und ermöglicht überlegte Entscheidungen
Stereotype, die kognitive Verzerrungen verursachen, haben also massiven Einfluss auf unsere Entscheidungen. Sind Chancengleichheit und Kulturveränderung durch Diversität in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kunst deshalb bloß Träumerei? Ein Ansatz macht Hoffnung: die recht neue Wissenschaft der Verhaltensökonomie. Wenn unsere Gehirne Stereotype liebt und wir dazu neigen, Menschen einzustellen oder zu befördern, die uns in Herkunft, Alter oder Geschlecht ähnlich sind, dann brauchen wir andere Mittel und Wege, damit die Gender-Gleichstellung endlich real wird. Das Orchester-Experiment hat es bereits bewiesen – und Iris Bohnet, die Schweizer Verhaltensökonomin und Professorin für Public Policy an der Harvard Kennedy School in Cambridge, bringt es auf den Punkt: „Nicht die Frauen müssen sich ändern, sondern die Spielregeln.“
Es geht also nicht darum, Frauen im Denken und Handeln an die Männer-Monokulturen anzupassen, sondern die Umstände, durch welche Verhaltensweisen entstehen und Entscheidungen getroffen werden. Nur so ist Chancengleichheit und gleichzeitig auch eine Kulturveränderung möglich. Was Unternehmen dringend brauchen, um attraktiv für junge Talente zu sein.
Einige Unternehmen haben dies bereits verstanden und Spielregeln verändert. Wichtige Werkzeuge dabei: Blindverfahren, Datenanalyse in Echtzeit und andere digitale Entscheidungshilfen, die die Dominanz der Intuition abmildern und zu bewussteren Entscheidungen führen.
Digitale Entscheidungshilfen ebnen den Weg
Ein Beispiel ist die Nutzung von Softwares, die Ausschreibungen auf geschlechtsneutrale Wortwahl prüfen. Denn Studien zeigen, dass sich weniger Frauen bewerben, wenn in Stellenausschreibungen typisch männliche Attribute auftauchen wie „durchsetzungsfähig“, „führungsstark“ oder „wettbewerbsorientiert“. Umgekehrt bewerben sich weniger Männer auf Stellen, die mit typisch weiblichen Adjektiven wie „unterstützend“, „mitfühlend“ oder „verständnisvoll“ beschrieben sind.
Ein weiteres gutes Beispiel liefert Google: HR-Datenanalysen (= People Analytics) haben gezeigt, dass junge Mütter das Unternehmen doppelt so häufig verlassen wie der Durchschnitt aller Angestellten. Daraufhin hat der (damalige) Leiter der Personalabteilung, Laszlo Bock, den Elternurlaub von branchenüblichen zwölf Wochen auf fünf Monate verlängert. Seitdem hat sich die Zahl der jungen Mütter, die Google verlassen, um 50 Prozent verringert.
McKinsey hat ein Women Talent Board geschaffen, um Beraterinnen ab Projektleiter-Ebene bei ihrer Karriereplanung aktiv zu unterstützen. Ausschlaggebend dafür war eine Studie, die gezeigt hatte, dass von 4.000 männlichen und weiblichen High Potentials 15 Prozent mehr Männer Beförderungen erhalten[3]– obwohl mehr Frauen berichten, Mentoren zu haben. Und so wurden bei McKinsey aus Mentoren Sponsoren, die die Frauen nicht mehr nur beraten und begleiten, sondern auch Verbindungen knüpfen, Türen öffnen – und ihnen den Weg nach oben ermöglichen.
Allen Beispielen gemeinsam ist die Tatsache, dass gutes Verhaltensdesign mit analysierten Daten beginnt. Daher mein Appell an Sie: Schaffen Sie Experimentierraum für Verhaltensdesigner, um die richtigen Signale zu finden und bessere Entscheidungen anzustoßen. Starten Sie schon heute damit, sonst werden Sie morgen keine jungen Talente mehr kriegen.
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Recruiting-Tipps
– Zeigen Sie in Stellenausschreibungen Fotos von Männern und Frauen
– Formulieren Sie geschlechtsneutrale Eigenschaften
– Verwenden Sie die weibliche und männliche Stellenbezeichnung
– Formulieren Sie im Anforderungsprofil nur die wirklich notwendigen Voraussetzungen
– Führen Sie bei der Sichtung der Lebensläufe eine Blind Audition ein
– Sorgen Sie dafür, dass unter den Finalisten für eine zu besetzenden Stelle mindestens zwei Frauen sind
Tipps zur Förderung von Frauen
– Schaffen Sie weibliche Rollenmodelle
– Hängen Sie Bilder von männlichen und weiblichen Führungspersönlichkeiten/Vorbildern auf
– Führen Sie ein Reverse-Mentoring-Programm zwischen männlichen Führungskräften und weiblichen Nachwuchskräften ein.
Dadurch werden Führungskräfte die Lebensrealität junger Frauen besser kennenlernen.
– Supporten Sie Frauen durch Sponsoring-Programme
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[1]BCG (2014). The Global Workforce Crisis
[2]Amy J. C. Cuddy & Susan T. Fiske. When Professionals Become Mothers, Warmth Doesn´t Cut the Ice, Journal of Social Issues, 60 (2004)
[3]Ibarra, H. et al. (2010). Why Men Still Get More Promotions than Women”, Harvard Business Review.; Hewlett, S. A. plädiert für Sponsoring “Forget a Mentor, Find a Sponsor: The New Way to Fast-Track Your Career, Boston 2013
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