Der Verband Berufsbildender Schulen hat nachgefragt
… ich habe geantwortet.
On demand, verdammt!
Junge Leute wollen nichts lernen, nichts erreichen, nichts werden. Sie sind faul, launisch und frech. Stimmt? Nicht! Sie wollen lernen und sie wollen jemand werden – jedoch nur unter ihren eigenen Bedingungen und das mag manch einer frech nennen. Ich nenne das top! Denn: Ohne Wille, keine Veränderung.
Das trifft für die berufliche Schule genauso zu wie für alle anderen Schularten wie Gymnasium oder Hauptschule.
Die Generation Y (Jahrgang 1980–1995) ist die erste Generation, die andere Lehrmittel bevorzugt als sie früher üblich waren. Tafel und Kreide sind passé. Laut der Shell Jugendstudie (2015) sind 99 % aller deutschen Jugendlichen online. Im Durchschnitt sind sie 18 Stunden pro Woche im Internet unterwegs. Beamer und Touchpad sind ab 2016 also definitiv besser geeignet. Lernstoff muss on demand verfügbar sein und das am besten auf jedem mobilen Endgerät. Lernvideos und Onlinekurse, sogenannte MOOCs, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Das erfordert Fachwissen bei den Lehrkräften, wofür Weiter- und Fortbildungen angeboten werden müssen. Dringend! On demand ist deshalb so wichtig, weil lernen viel mehr in die Schiene „by Doing“ geht. Junge Menschen lernen kollaborativer, praktischer und im Austausch mit anderen – ob analog oder digital. Und sie verstehen immer mehr, dass lernen nicht nur im Rahmen einer Ausbildung stattfindet, sondern lebenslang entscheidend ist. Nicht nur, um im Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Trend: Lernen!?
Das Zukunftsinstitut von Matthias Horx definiert „Neues Lernen“ als einen Megatrend. Dabei stehen vier Aspekte im Vordergrund:
- Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht einen breiteren und anderen Zugang zu Wissen.
- Das klassische Bildungssystem, in dem wir Duckmäuser, Ja-Sager und pflichtbewusste Gehilfen produzieren, ist veraltet und passt nicht mehr zur modernen Realität, in der wir Selbstdenker, Querdenker, Kreativköpfe brauchen.
- Außerschulisches und -universitäres Wissen gewinnen an Bedeutung.
Zu wenig Lehrer verstehen die Arbeitswelt und Zukunftstrends.
Es geht also weniger um die Frage: „Was ist jungen Menschen in der Ausbildung wichtig“ als um die Tatsache, dass wir ganz dringend das Bildungssystem revolutionieren müssen.
Wenn die Realität Systeme überrumpelt
Der Rest der Welt blickt neidvoll darauf und auch ich bin Fan vom dualen Ausbildungssystem. Trotzdem muss sich das System verändern. Nur noch wenige junge Menschen kaufen sich Bücher, in BUCHhandlungen. Wir haben keinen Bock mehr, Sachen aufzuschreiben, wischen lieber auf dem Tablet und Smartphone rum und stöbern in Datenbanken oder WWW nach neuen Ideen. Wir leben in einer virtuellen Welt. Die Konzentrationszeiten werden kürzer, die Informationsdichte nimmt zu (Attention Economy). Darauf muss sich auch das Ausbildungssystem einstellen.
Machtverschiebung zwischen Arbeitgeber und -nehmer
Besonders durch die demografische Entwicklung entwickelt sich eine Machtverschiebung hin zu einem Arbeitnehmermarkt. Unternehmen müssen sich um Bewerber bemühen. Ausbilder müssen vermitteln, aufklären und einwirken. Diese Aufklärungsarbeit müssen Berufsschullehrer mit übernehmen. Auch wenn es „noch“ nicht zu ihren Aufgaben gehört.
Wiederbelebung der Kreativität
Auch an Ihren Berufsschulen muss sich die Methodik und Didaktik verändern. Mit dem klassischen Unterrichtsformat produzieren wir ängstliche, mutlose und unvorbereitete Karriereanfänger statt experimentierfreudige Gestalter. Zu bisherigen Anforderungen in der Arbeitswelt hat das gepasst. Jetzt erleben wir eine Nichtpassung zwischen Kompetenzen der Absolventen und Anforderungen von Unternehmen. Alle streben nach innovativen Kreativköpfen. Das ist in Deutschland Mangelware! Wir haben nicht gelernt und lehren immer noch nicht, was es heißt, kreativ zu denken und zu handeln. Im Gegenteil: Man trainiert es uns ab! Während 98 % von Kids kreativ sind, bleiben davon nur noch 2 % kreative Erwachsene übrig. Paradox, nicht wahr? Und ein trauriges Armutszeugnis sowie riesige Gefahr für die Arbeitswelt von heute. Deshalb treibt man jetzt Innovationsmethoden wie bspw. Design Thinking durchs Unternehmen, in der Hoffnung, den gedanklichen Hebel von der linken Gehirnhälfte auf die rechte umzuschwenken. Und jetzt überlegen Sie mal, wie innovativ Deutschland wäre, würden wir Kinder darin schulen, Kreativität vielfältig einzusetzen, Probleme und Bedürfnisse zu erkennen und Lösungsansätze zu generieren. Wow! Wir müssen das System Aus-/Bildung in die Zukunft hieven und nicht weiterhin die Vergangenheit verteidigen.
Fazit
Wenn man den Bildungs- und Ausbildungsauftrag richtig versteht, geht es darum, den jungen Menschen das Rüstzeug mitzugeben, sich in einer dynamischen Welt (VUKA-Realität) zu behaupten und den Spaß am Lernen und an der Arbeit in sich zu tragen (intrinsische statt extrinsische Motivation).
Es ist schon beschämend, dass wir den Menschen,
denen wir unser Geld anvertrauen mehr zahlen,
als denen, denen wir unsere Kinder anvertrauen!
-> Wiederholen Sie diesen Satz! Er stimmt und setzt hoffentlich Impulse.
Wir wissen mittlerweile, dass es Menschen gibt, die morgens oder abends besser lernen (Lerchen und Eulen). Ich zum Beispiel sitze morgens gerne schon um 7 Uhr am Schreibtisch. Meinem Freund kommen spät abends die besten Ideen. Da liege ich schon müde auf dem Sofa. Warum ist das System immer noch so starr wie vor 30 Jahren?
Wir wissen, dass Psychologie und die richtige Zusammenstellung von Teams sowie der Austausch auf Augenhöhe essenziell sind für beruflichen Erfolg und der Zufriedenheit (Selbstbestimmungstheorie nach Deci & Ryan). Gleichzeitig wird die interkulturelle Führung in Betrieben immer wichtiger. In jeder Branche arbeiten mehrere Kulturen zusammen. Darauf müssen junge Menschen vorbereitet werden. Doch mit welchem Unterrichtsfach wird das gelehrt? Interkultureller Austausch? Ts!
Bei Facebook schrieb mich vor wenigen Tagen ein junger Tischler an, der nach seiner Lehre nicht übernommen wurde: „Lieber ein hohes Risiko eingehen und selbstständig machen oder auf Nummer sicher gehen und irgendwo arbeiten, wo man sich nicht frei entfalten kann?“ Der Junge hat’s verstanden. Nur leider fehlen ihm Antworten auf das WIE. Junge Menschen scheuen das Risiko der Selbstständigkeit nicht mehr. Es ist eine neue Karriereoption. Seien Sie darauf vorbereitet, machen Sie jungen Menschen Mut und unterstützen Sie mit wertvollen Ideen, Anregungen und Hinweisen. Schwierig, wenn man als Lehrer immer nur … Seien Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst!
Wir leben in einer Gesellschaft, in der alle laut brüllen. Auch der Verband sollte das tun. Damit Politik, Unternehmen und Gesellschaft die Attraktivität einer solchen Ausbildungsform weiterhin mittragen.
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