Die Freundschaft auf Standby
“Wir haben so viele Facebook-Freunde, dass wir schon ein neues Wort für die echten brauchen.”
Das steht auf einer Werbepostkarte, die mal in meinem Zimmer an der Wand hing. Jetzt hängt sie da nicht mehr – sie ist Fotos von Freunden und Familie gewichen. Irgendwie ironisch, oder?
Natürlich müssen wir nicht ernst nehmen, was auf Werbepostkarten steht. Trotzdem hat sich jeder bestimmt schon mal Gedanken darüber gemacht, ob die Freunde, die er bei Facebook hat, echte Freunde sind oder sie nur als Sammlung an Bekanntschaften dienen… Nicht alle meine Facebook-Freunde sind meine besten Freunde, einige sind nur Bekannte. Und doch habe ich viele Freunde nur halten können, weil wir auf Facebook miteinander verbunden sind.
Andere Freunde verliert man dagegen gerade wegen Facebook. Apps wie “Who deleted me on facebook?” zeigen an, wer einen als Facebook-Freund gelöscht hat – wer das tut, bleibt nicht mal mehr Bekannter, sondern macht nur wütend und traurig. Freundschaften zerbrechen wegen eines Klicks.
Facebook hat seine positiven und seine negativen Seiten. Auf jeden Fall ist es eine neue Art, Freundschaften zu pflegen. Ein Mittel, um damit zurechtzukommen, wie sich unsere Freundschaften ändern. Wie sie sich ändern müssen. Und zwar deshalb, weil wir uns ändern, weil unsere Welt sich ändert.
Früher war alles anders
Früher habe ich noch Briefe an die Mädchen geschrieben, die ich auf dem Reiterhof kennengelernt habe. Früher war fliegen noch teuer und man ist mit dem Auto in den Familienurlaub gefahren. Genau, damals. Als die Computer noch einen festen Standort hatten, riesengroß waren und sich nur mit viel Glück mit dem Internet verbinden konnten. Damals waren unsere besten Freunde die Kinder aus der Nachbarschaft, die Kinder, mit denen wir zur Schule gegangen sind. Unsere Eltern waren befreundet und wenn sie nicht zu unserer Geburtstagsfeier kommen konnten, haben wir Rotz und Wasser geheult.
Dann kamen die Urlaube nach Frankreich, Spanien, in die USA, das Auslandsjahr in Australien oder Neuseeland und Backpacking durch Thailand. Plötzlich hatten wir Freunde auf der ganzen Welt. Freunde, mit denen wir Kontakt halten wollten. Freunde, die uns ans Herz gewachsen sind, weil wir schöne, intensive Zeiten zusammen erlebt haben. Freunde, die wir vielleicht nie wiedersehen würden – oder jedenfalls nicht so bald. Aber sind es denn dann Freunde?
Mit Frankreich kam Facebook
Bei mir war es der Schüleraustausch nach La Réunion in der zehnten Klasse. Die kleine Insel gehört zwar zu Frankreich, ist aber eine ehemalige Kolonie im Süden Afrikas. Mein erster Langstreckenflug, ganz weit weg.
Mit meinen Freunden dort habe ich gelacht und geweint, war mit ihnen in der Schule, habe mit ihnen in einem Zimmer gewohnt, wir haben jeden Tag zusammen gegessen und über alles geredet. Echte Freunde also. Und diese Freunde sollten nach drei Monaten einfach wieder aus meinem Leben verschwinden?
Da war es also soweit: Ich habe mir ein Facebook-Account angelegt – um Kontakt mit ihnen zu halten. Das hat natürlich nicht lange funktioniert und wir haben nach einer Zeit aufgehört, uns regelmäßig zu schreiben. Meiner damals besten Freundin aus La Réunion habe ich 2014 das letzte Mal geschrieben. Sie ist jetzt in Paris. Und wenn ich mal nach Paris fahre, dann werde ich ihr auf jeden Fall Bescheid sagen – vielleicht können wir uns ja treffen.
Auch mit all meinen anderen Freunden von damals bin ich noch auf Facebook befreundet und schaue regelmäßig, was sie jetzt machen und wo sie wohnen. Viele sind jetzt auf dem Festland, einige sogar in Deutschland. „Das sind ja nur Bekannte und keine Freunde“, kann man jetzt sagen. Ja, kann man. Aber sie waren mal Freunde. Und die Freundschaft ist nicht an irgendetwas zerbrochen. Also könnte man auch genauso gut sagen: Wir sind immer noch Freunde. Freunde, die ich ohne Facebook wahrscheinlich verloren hätte. Freunde, die ich zwar nicht oft sehe, mit denen es aber, wenn ich sie treffe, so ist, als hätten wir gestern erst zum letzten Mal in “real Life” gequatscht.
Die GenY-Freundschaft
Das vielleicht typischste Beispiel für solch eine GenY-Freundschaft ist aber noch ganz frisch. Eine meiner besten Internatsfreundinnen hat mir vor zwei Monaten bei Facebook geschrieben. Sie hat jemanden kennengelernt, der mich auch kennt und sie gefragt hat, warum wir eigentlich keinen Kontakt mehr hätten. Sie wusste es nicht. Ich auch nicht. So kam es, dass wir nach fünf Jahren, in denen wir ohne wirklichen Grund kein Wort miteinander gewechselt haben, stundenlang telefonierten.
Diese Freundschaften sind anders als die Kindergartenfreunde aus dem Nachbarhaus, mit denen man alt wird. Diese Freundschaften sind auf der ganzen Welt verteilt, werden über verschiedenste Kommunikationsmittel gepflegt und stehen manchmal eben auch jahrelang still. Denn mal ganz ehrlich: Geht es überhaupt noch anders? Bei Umzügen, Studienabbrüchen, Weltreisen und dem Wunsch nach Karriere ist das mit dem befreundet sein eben überhaupt nicht mehr so leicht.
Das Problem daran ist: Diese Freundschaften funktionieren nur, wenn es für beide Seiten okay ist, dass der Kontakt nicht dauerhaft und regelmäßig besteht. Wenn beide sich bewusst sind, dass es nicht anders geht. Wenn sie es nicht nur in Kauf nehmen, sondern es schätzen, dass sie genau solche Freundschaften führen können. Freundschaft auf Standby eben, aber nicht off.
So haltet ihr Fern-Freundschaften aufrecht
- Seid nicht beleidigt, wenn der andere euch länger nicht geschrieben hat. Manchmal hat man einfach viel zu tun und hängt nicht den ganzen Tag am Handy.
- Telefoniert lieber ein paar Mal im Jahr richtig lange und ausführlich, anstatt jeden Tag zu fragen: “Wie gehts?” Sonst werden die Gespräche irgendwann langweilig.
- Plant einen Urlaub, um den anderen zu besuchen.
- Schaut immer mal wieder nach, was der andere gerade auf Facebook oder Instagram so macht. So bleibt ihr informiert und habt eine bessere Basis für Gespräche. Das ist doch besser als gar nicht zu wissen, was bei dem anderen los ist.
- Smalltalk ist verboten, wenn man sich lange nicht gesehen hat. Erzählt euch persönliche Dinge, sprecht über alles mögliche. Schließlich soll der (Facebook)-Freund nicht das Gefühl bekommen, warmgehalten zu werden.
Die Kehrseite der Facebook-Freundschaften
Wir alle haben aber auch irgendwie Angst davor, bei Facebook “deleted” zu werden. Nicht (mehr) anerkannt zu werden. Und das, was uns im analogen Umfeld zwangsläufig widerfährt: Ablehnung, Enttäuschung, Abwertung, Desinteresse, Nicht-Sensibilität, trifft uns in der digitalen Welt viel härter. Unter anderem deshalb, weil es messbar und vergleichbar wird. Probier es aus! Mit der App “Who deleted me on Facebook?” – sie informiert, wer uns bei Facebook die Freundschaft gekündigt hat.
Beitragsbild: Flickr/ Alice Popkorn
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