Der Gender-Bias lauert überall
Autorin: Steffi Burkhart
Wer von Ihnen hat The Voice of Germany 2016 gesehen? Ich finde die Casting-Show richtig gut. Am Anfang geht es immer los mit den Blind Auditions, was heißt, die Jury entscheidet ausschließlich anhand der Stimme, welcher Sänger oder welche Sängerin eine Runde weiter ist. In der nächsten Runde battlen die Kandidaten gegeneinander – auch das ist ziemlich aufregend. Viele tolle Frauen und viele tolle Männer die rausfliegen oder in die nächste Runde kommen, bei der dann jedes Team (also Team Samu, Team Yvonne etc.) mit den anderen konkurriert. Bis zu diesem Zeitpunkt trifft die Jury die Entscheidung über Bleiben oder Gehen. Ab der nächsten Runde, wenn es darum geht, vom Halbfinale ins Finale zu kommen, entscheidet das Publikum. Das heißt: Die Zuschauer dürfen für Lieblings-Kandidaten oder -Kandidatinnen anrufen. Und genau jetzt wird es interessant: 2016 haben die Zuschauer vier Sänger ins Finale gewählt: Robin Resch, Boris Alexander Stein, Marc Amacher und Tay Schmedtmann. Vier Männer, keine Frau. Wobei die Frauen wirklich toll gesungen haben. Ein interessantes Phänomen – und niemand hat darüber berichtet.
Denn dass es dazu gekommen ist, dass vier Männer und keine Frau von den Zuschauern ins Finale gewählt wurden, veranschaulicht ein Problem, welches uns permanent in allen Bereichen unseres Lebens begegnet. Egal ob in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kunst oder eben auch in der Kunst. Wir haben unvoreingenommene Gehirne, die in allen Bereichen zu dem hartnäckigen Problem der Chancenungleichheit von Mann und Frau, führen.
Wer jetzt behauptet, die Männer haben wahrscheinlich besser gesungen und besser performed als die Frauen, liegt falsch. Auch wer behauptet, Frauen werden heute, im Jahr 2018, in einem Land wie Deutschland chancengleich behandelt, liegt falsch. Und auch wer behauptet, dass am Ende doch nur die Leistung zählt, liegt genauso falsch. Diese Thesen können wissenschaftlich widerlegt werden.
Howard Roizen, das Musterbeispiel
Howard Roizen ist groß im Venture Capital tätig, ehemaliger Unternehmer und ein geschickter Netzwerker. Seine Entwicklung dorthin lief so: Er war Mitbegründer einer erfolgreichen Technologiefirma, wechselte dann in eine leitende Funktion bei Apple und wandte sich daraufhin der Vergabe von Risikokapital zu. In jüngster Zeit wurde er Mitglied der Verwaltungsräte mehrerer renommierter Unternehmen. Er ist mit Bill Gates befreundet und war ein Vertrauter von Steve Jobs. Er unterhält eines der größten Netzwerke im Silicon Valley.
Na, was denken Sie nun über die Leistung von Howard? High Performer wahrscheinlich, oder? Der hat wirklich was auf dem Kasten. Mit dem zusammenzuarbeiten wäre bestimmt mega. Den einzustellen, würde der Firma einen richtigen Schub nach vorne geben.
Die Sache ist bloß: Howard gibt es nicht. Howard heißt in Wirklichkeit Heidi Roizen. Howard ist also eine Frau. Das Interessante ist, dass Studierende, die die absolut identische Fallstudie vor sich haben mit Heidi statt Howard, Heidi zwar ähnlich kompetent einstufen wie Howard, aber die erfolgreiche Unternehmerin und Risikokapitalgeberin gefällt ihnen nicht mehr, und sie möchten nicht mit ihr zusammenarbeiten.
Warum ist das so? Weil die prototypische Führungskraft in vielen Köpfen männlich ist. Womit wir es hier zu tun haben, ist ein geschlechterbezogenes Vorurteil. Heidi kann NICHT gleichzeitig kompetent und sympathisch sein. Was bei Howard als Unternehmergeist, Selbstbewusstsein und visionäre Kraft interpretiert wird, erscheint bei Heidi als Arroganz und Selbstinszenierung. Frauen können nicht gewinnen, und dabei sympathisch und liebenswürdig rüberkommen. Wenn Frauen wie Heidi zeigen, dass sie einem „Männerjob“ gewachsen sind, passen sie nicht mehr in unser geistiges Schema der „idealen“ fürsorglichen, kollaborativen und sich selbst zurückhaltenden Frau.
Gender-Bias zeigt sich in dutzenden Studien und Experimenten
Experiment 1: Milkman, Akinola & Chugh (2015) verschickten eine E-Mail an tausende von Professoren von akademischen Institutionen in den Vereinigten Staaten im Namen eines nicht-existierenden Studierenden. Darin fragt der Studierende nach einem zehn-minütigen Gespräch, um mehr über die Doktoranden Programme zu erfahren, in welchem der Professor oder die Professorin involviert ist. Der Name des Studenten wurde verändert: mal eindeutig männlich oder eindeutig weiblich; mal eindeutig weiß, oder afro-amerikanisch, Indisch, Spanisch oder Chinesisch.
Das Ergebnis war: ca. 70% des akademischen Personals antworteten und stimmten einem Treffen zu. Signifikant häufiger wurde jedoch nicht geantwortet, wenn der Studierende nicht als weiß und männlich identifiziert wurde. Besonders ausgeprägt war die kognitive Verzerrung (oder in der Fachsprache Unconscious Bias) im Bereich der BWL, wo 87 der weißen männlichen Studierenden eine Antwort erhielten, aber nur 67 der Studierenden, die weiblich waren und einen anderen ethnologischen Hintergrund hatten. Dabei machte der ethnographische Hintergrund der Professoren selbst keinen Unterschied: auch spanische Professorinnen favorisierten männlich-weiße Studierende (einzige Ausnahme: chinesische Professoren bei der Anfrage eines chinesischen Studierenden).
Experiment 2: Ein Mann und eine Frau bewerben sich auf eine Position im Labormanagement. Sie besitzen die gleichen Qualifikationen und werden identisch beschrieben. Die wissenschaftliche Fakultät bewerteten die Bewerbung des Mannes signifikant kompetenter als die der weiblichen Kandidatin und wollten eher den Mann anheuern als die Frau. Der genderspezifische Bias beeinflusste die Evaluation. (Moss-Racusin, Dovidio, Brescoll, Graham & Handelsman 2014)
Interessant, oder? Die Beispiele zeigen im Ergebnis, dass der weiße (heterosexuelle) Mann als Ausdruck von Kompetenz ein kulturelles Ideal verkörpert. Ob wir wollen oder nicht, auch wir sind davon beeinflusst und können es nicht direkt erkennen – nicht mal im akademischen Kreis. Dies ist mit ein Grund, weshalb der Anteil der Frauen in höheren Karriere-Positionen immer noch so niedrig ausfällt. (Women in S&P 500 Companies: 4% CEOs, 19.2% Board seats, 25,1% Executive/Senior-level managers, 36,8% First/Mid-level managers, 45% S&P 500 Labor Force; Catalyst, Febr. 3, 2016) Die berühmte gläserne Decke, von der gerne gesprochen wird, ist real und existiert länderübergreifend. Eine Ursache dessen sind unsere kognitiven Verzerrungen basierend auf genderspezifischen Stereotypen, die fest in unseren Köpfen verankert sind und unser Denken und Handeln stark beeinflussen – ob wir es wollen oder nicht. Auch bei einer Show wie The Voice of Germany.
Und wenn wir etwas dagegen unternehmen wollen, müssen wir die Art und Weise, wie wir Menschen akquirieren, wie wir sie einstellen und wie wir sie befördern, hinterfragen. Wenn unsere Gehirne „gebrainwashed“ sind, dann braucht es andere Mittel und Wege, Chancenungleichheit aus dem Weg zu räumen. Egal ob in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Kunst oder der Politik. Über 100 Tipps dazu, wie das gelingen kann, beschreibt Iris Bohnet in ihrem genialen Buch „What works – Gender Equality by Design“.
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