Unsere Eltern hatten Woodstock, was haben wir?
Unsere Eltern waren politisch, Punks und per se gegen das System. Wir, die Generation Y, sind vegan, verantwortungsbewusst und 7days/24hours verfügbar. Uns wird oft vorgeworfen, wir seien mehr politisch, wir hätten keine Werte, für die wir kämpfen. Stimmt das? Irgendwie schon.
Autorin: Leonie Gürtler
Wir stehen politisch irgendwo so in der Mitte. Wir wählen SPD oder CDU oder die Grünen. Die Linke ist uns zu extrem, die AfD auch (zum Glück!) und die Piraten, die eigentlich unsere Partei sein könnte, schon wieder out.
Wir organisieren keine Demos sondern Partys oder Demos, die sich so anfühlen, wie Partys.
Wir sind nicht religiös, zumindest nicht so wie unsere Großeltern es waren. „Ich bin zwar getauft, aber ob ich wirklich an Gott glaube, weiß ich auch nicht so richtig“, ist der Mindset heute.
Wir wollen keinen vorgegebenen Werte-Kanon, wie in der Religion, aber auch keine neuen Werte schaffen, wie die 68er mit ihrer Systemkritik oder die grünen Atomkraftgegner.
Wir wollen Chef eines DAX-Unternehmens werden, glücklich mit dem Chef eines anderen DAX-Unternehmens verheiratet sein, zwei Kinder haben, Klavier und Tennis spielen und jeden Tag frisch kochen – wie wir das alles vereinbaren wollen, das wissen wir noch nicht.
Wir wollen die Welt entdecken, fühlen uns aber doch am wohlsten, wenn wir zwei Straßen von Mama entfernt im Reihenhaus wohnen und sonntags bei Oma zum Kaffeetrinken vorbeischauen können.
Um es zu pauschalisieren: Unsere Eltern wollten die Welt verändern, wir wollen nur unser eigenes Leben verändern.
Deshalb essen wir vegan, vegetarisch oder glutenfrei; Chia-Samen sind unser Grundnahrungsmittel und Soja wird plötzlich zum Alleskönner. Aber wenn uns das ganze (angeblich) Gesunde zu blöd wird, gibt’s Currywurst mit Pommes oder Pizza-Lieferservice.
Deshalb reisen wir in die USA, Australien oder nach Kolumbien. Wir lernen Spanisch, Mandarin und perfektionieren unser Englisch.
Deshalb machen wir Abitur und studieren irgendwas, ob es uns gefällt oder nicht. Wir nehmen uns keine Zeit, nachzudenken, was vielleicht das Richtige wäre. Das mit dem Studium muss schnell gehen. Außerdem wollen wir ja noch nicht wegziehen, da bleiben nur die zwei Unis in der Nähe übrig, wo es auch nicht unbedingt jedes Studienfach gibt.
Deshalb bleiben wir für den makellosen Lebenslauf in Regelstudienzeit. Um danach einen Job machen zu können, der uns Spaß macht – wobei wir noch überhaupt nicht wissen, was dieser Job sein wird. Aber er soll uns auf jeden Fall erfüllen und gut verdienen lassen.
Deshalb gründen wir ein eigenes Unternehmen. Ob es dann wieder pleite geht, ist nicht so wichtig. Wir haben der Welt gezeigt, dass wir eine Idee in die Tat umsetzen können und sind einen weiteren Schritt gen Selbsterfüllung gegangen.
Man könnte sagen, wir sind egoistisch: In den 30ern haben wir einen perfekten Lebenslauf, aber noch lange nicht die Welt verändert. Das müssen wir ja auch nicht, solange das unsere Eltern tun. Und momentan geht es uns scheinbar zu gut, als dass wir das Bedürfnis dazu hätten, wenigstens diesen Zustand zu verändern.
Wir müssen unser Woodstock, unsere Werte, das was uns ausmacht, die Aufgabe unserer Generation eben erst noch finden.
Beitragsbild: Flickr/ Max Barners
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