Meine Botschaften auf der Eröffnungsfeier der Internationalen Handwerksmesse 2019
Mir war es sehr wichtig, bei der Eröffnungsfeier der Internationalen Handwerksmesse einen eigenen Redebeitrag zu erhalten, um dem geladenen Kreis, überwiegend bestehend aus der Entscheiderebene in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden relevante Botschaften aus der Perspektive der Millennials zu vermitteln. Ich hoffe sehr, auch Dr. Markus Söder und Peter Altmayer nehmen sich meine Impulse zu Herzen. In der Vorbereitung habe ich lange überlegt, wie ich in 5 Minuten wichtige Inhalte transportieren kann. Hier das Resultat:
Wir Millennials – die heute 20 bis Mitte 30-Jährigen, sind zwar quantitativ in der Minderheit, qualitativ jedoch die wahrscheinlich wichtigste Nachkriegs-Generation weltweit. Uns zu verstehen, unsere Sozialisierung, unsere Bedürfnisse und die Megatrends die auf uns wirken und die Trends die wir selbst auslösen, wird ein Game Changer für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sein. Die große Frage ist – warum?
Die Alterspyramide wandelt sich zu einem Trichter. Als Beispiel: 1964 war das Jahr mit der höchsten Geburtenrate in Deutschland – mehr als 1.3 Millionen Babys wurden geboren. In 2017 haben wir nur noch die 700.000 Marke geknackt. Das betrifft vor allen Dingen neben dem Rentensystem den heutigen Arbeitsmarkt und im Speziellen Ihre Unternehmen und Ihre Zukunft.
Bei gleichbleibendem wirtschaftlichem Wachstum werden bis 2030 uns alleine in Deutschland ca. 8 Millionen erwerbsfähige Menschen fehlen, weil die Babyboomer Generation bis dahin zum Großteil in Rente gegangen ist. Das sind mehr als 20 Prozent aller Erwerbstätigen. Jeder 5 Arbeitsplatz bleibt somit unbesetzt. Alleine das ist der Grund, warum die Arbeitslosenquote in Deutschland derzeit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gefallen ist. Politiker jubeln und feiern das als ihren Erfolg – dabei könnte dies die größte wirtschaftliche Krise auslösen, die wir in Deutschland je erlebt haben.
Gut, dann holen wir talentierte Schweden, Brasilianer, Kanadier, Japaner oder Italiener nach Deutschland, oder? Was aber in der Zukunft nicht so einfach funktionieren wird, weil die demografische Entwicklung nicht nur uns in Deutschland hart treffen wird, sondern auch die weltweit größten Industrienationen mit ähnlich gut ausgebildeten Fachkräften und Talenten. Außerdem sind wir in Deutschland nicht grade als die Integrationsweltmeister bekannt.
Die Wahrheit lautet: Wer Megatrends ignoriert, wird über sie stolpern. Wer auf der anderen Seite Megatrends frühzeitig analysiert und versteht, gewinnt dadurch Wettbewerbsvorteile. Der Demografische Wandel bzw. die Alterung unserer Gesellschaft IST ein Megatrend, unter dem sich unsere politischen Eliten jedoch schon seit gut zwei Jahrzehnten hinwegducken versuchen. Dabei sind demografische Entwicklungen ziemlich einfach einschätzbar. Sie lassen sich auf Jahrzehnte vorherbestimmen. Nur die Schwierigkeit ist, sie kurzfristig umzukehren.
Ohne junge Mitarbeiter aktiv ins Unternehmen zu holen, sie dort gut zu qualifizieren, zu fördern und sie längerfristig zu halten, werden Unternehmen ausgebremst sein in ihrer Performance, ihrem Wachstum und ihrem Gewinn.
Was zu dieser Wahrheit ebenfalls gehört ist, dass top Unternehmen, dazu gehören bspw. Daimler, Loreal, Würth oder Bosch, die Problematik des Personalengpasses ganz genau verstehen, passende Mechanismen und Maßnahmen entwickeln, um diesem Megatrend entgegenzuwirken. Bei so einigen kleineren und traditionellen Unternehmen – das ist meine Beobachtung, ist diese Problematik und seine Auswirkungen erschreckenderweise noch nicht einmal im Bewusstsein angekommen.
Es gibt derzeit 4 Maßnahmen die jetzt ergriffen werden müssen, damit das Handwerk das Jahr 2030 überlebt:
1. Millennials als Zielgruppe zu verstehen und deren Bedürfnisse zu befrieden – ob auf Mitarbeiter- oder Kundenseite. Millennials sind Early Adopter und Trendsetter neuer Technologien und Entwicklungen wie beispielsweise: Millennials wechseln bis zu 8 Mal im Leben ihren Arbeitsplatz und die Industrie. Junge Mitarbeiter sind das flüchtigste Molekül in der Zukunft. Arbeit nach dem Motto: „Einmal Dachdecker, immer Dachdecker“ gibt es heute nicht mehr. Sie sind mal angestellt, machen sich mit einer eigenen Idee selbstständig oder durchlaufen eine neue Ausbildung und damit einen Branchenwechsel. Meistens basierend aufgrund von Fortschritt durch neue Technologien.
2. Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert. Alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert. Die wichtigste Fähigkeit des Menschen wird in der Zukunft sein, kreativ, gemeinsam als Team Probleme zu lösen und Organisationen und Teams erfolgreich zu führen.
3. KI und Robotiks sollten in die vertikale Wertschöpfungskette – AUCH im Handwerk, viel stärker mit eingebaut werden, um Prozesse, Produkte und die Kundenzufriedenheit zu verbessern. Ein Beispiel: Wenn die Heizung in meiner Wohnung ausfällt, weil irgendein Teil in der Therme kaputt gegangen ist, müsste doch der Monteur direkt in der Lage sein, dieses Teil mit seinem Smartphone vor Ort zu bestellen und ein Produktions- oder Lieferauftrag auszulösen und mir noch vor Ort eine zeitnahe Reparatur anzubieten. Dabei wird es in den nächsten Jahren so sein, dass Ersatzteile und Termine autonom über KI vereinbart, bestellt, produziert, verschickt und geliefert werden.
4. Der Kulturwandel in den Unternehmen, Betrieben, Politik und der Wissenschaft muss schneller vollzogen werden: Ich erlebe bei all den Veranstaltungen, bei denen ich zu Gast bin, dass immer der gleiche Typus Mensch vor mir sitzt: Männlich, weit über 50 und in blauem oder schwarzen Anzug. So sieht unsere Entscheiderebene in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft aus – eine Männer-Mono-Kultur. Kein Wunder also, dass wir uns seit Jahren nur im „Modus der Erfahrung“-Kreis drehen.
Bis in die späten 70er Jahre hatte eines der bedeutensten Symphonie Orchester der Welt exakt dasselbe Problem. Über 90 Prozent der Musiker gleichzeitig auch der Musikprofessoren, waren weiße ältere Männer in ihren 50er Jahren. Durch und durch nur Männer. Obwohl an den Musikhochschulen genauso viele junge talentierte Frauen in den Meisterklassen waren, die durchaus auch besser die Geige, besser den Kontrabass oder besser die Flöte gespielt haben, als ihre männlichen Kollegen. Trotzdem waren es 95 Prozent der männlichen Kollegen, die ins Orchester aufgenommen wurden. Bei jeder Neubesetzung im Orchester war die Besetzungs-Jury davon überzeugt, beim Vorspiel eine „objektive“ Entscheidung zu treffen – und Männer NICHT zu bevorzugen.
Für ein wissenschaftliches Experiment hat sich die Jury des Bostoner Symphonie Orchester darauf eingelassen, dass beim Vorspiel ein Vorhang zwischen der Jury und den Musikern implementiert wird. Diese Blind Auditions haben dazu geführt, dass der Frauenanteil in dem Orchester sprunghaft auf fast 40 Prozent angestiegen ist und auch der Altersdurchschnitt extrem nach unten gegangen ist. Die Veränderung des Aufbaus – was in der Verhaltensökonomie Design genannt wird, hat zu einem komplett anderen Ergebnis geführt.
Die dringend benötigten Veränderungen funktionieren erst dann, wenn wir uns im übertragenden Sinne nicht von kognitiven Verzerrungen – die in uns allen stecken, beeinflussen lassen. Das ist auch der Grund, warum in den USA mittlerweile in den Spitzenbranchen anonymisierte Lebensläufe gibt – ohne Foto und Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder Nationalität.
Experimente, die von der Harvard University durchgeführt worden sind und eine direkte Umsetzung in die amerikanische Wirtschaft gefunden haben.
In diesem Sinne ist mein Appell an alle im Raum: Sich nicht den Stereotypen, kognitiven Verzerrungen und der Weg-Duck-Mentalität hinzugeben, sondern aktiv die anstehenden wichtigen Veränderungen mit uns Millennials mitzugestalten – weil wir die Deutungshoheit über die wichtigste Massentechnologie unserer Zeit haben, dem Internet.
Gemeinsam müssen wir die vor uns stehenden Aufgaben und Herausforderungen bestmöglich lösen, denn es geht um nicht mehr und weniger als die Zukunft des Handwerks, Ihrer Betriebe und die Zukunft der Millennials.
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